Fortsetzung
In Wustrow angekommen wurden wir mit ungeheurer Schnelligkeit unsere Quartiere und Kostplätze angewiesen. Um es gleich im Voraus zu bemerken, wir alle wurden sehr gut verpflegt, reichlich verköstigt und hatten schöne Quartiere. Die Bewohner von Wustrow, die Badeverwaltung und der Fremdenverkehrsverein haben alles Mögliche aufgeboten, um uns den 6 tägigen Aufenthalt in Wustrow möglichst angenehm zu gestalten. Vergnügungen alle Art, historische Veranstaltungen und Festzüge erquickten Auge und Ohr. Während des Tages konnten wir uns an der Strandmusik ergötzen und des Abends bis morgens früh lud die Tanzmusik die fröhlichen Tänzer und Tänzerinnen zu einem gemütlichen Tänzchen ein.
Soweit ich die Vergnügungen beobachtet habe und beobachten konnte, ging es heiter und fröhlich, echt bayrisch gemütlich zu. Unangenehme Zwischenfälle sind keine zu verzeichnen. Alles geschah mit Anstand. Die Bayern und die Mecklenburger haben sich sehr gut miteinander vertragen. Der sehnlichste Wunsch der Mecklenburger Damen u. Herren war es, mit bayrischen Damen und Herren tanzen zu dürfen. Großen Reiz boten für uns Bayern die See und das Meer und das Strandleben. Die einen saßen am Strand auf den Bänken, andere in den Strandkörben, wieder andere lagen im Sand oder Gras, um die viel bewegte See, die wie weiße Schäfchen; heran eilenden Wellen, die oft brandenden Wogen, und das muntere Treiben in und auf der See zu beobachten.
Wieder andere fuhren in kleinen Segel- oder Motorbooten hinaus auf die Seehund andere endlich nahmen Seebäder und zeigten ihre Schwimmkunst. Während der Badesaison ist das Strandleben immer ein sehr lebhaftes und heiteres. Allerdings zeigen sich auch große Schattenseiten in sittlicher Beziehung, indem es ziemlich frei hergeht. Knaben und Mädchen, Damen und Herren stolzieren ungeniert im Badekostüm umher und nehmen gemeinsame Bäder, wenn ja gewiß betont werden muß, daß im Großen und Ganzen die Badekostüme sehr dezent waren, ja oft viel anständiger waren, als die ausgeschnittenen und durchsichtigen Kostüme mancher Modedamen.
Von Wustrow aus wurden mehrere Dampferfahrten über den Saaler Bodden unternommen nach Ribnitz, Bad Born, und einmal von Warnemünde aus eine 4 stündige Fahrt auf der Ostsee bis zum Feuerschiff hinein in die dänischen Gewässer. Warnemünde ist ein ganz moderner Badeort mit schönen Gebäuden, breiten Straßen, einem großen Hafen, einem herrlichen Strand und einer 500m langen Landungsbrücke. Es zählt 12.000 Einwohner und ist eigentlich die Hafenstadt von Rostock, welches auch die Verwaltung über Warnemünde hat.
Hier in Warnemünde werden Eisenbahnzüge auf den mächtigen Dampffähren über das Meer nach Geiser zur den. Küste gefahren. Das Feuerschiff, von dem ich oben geschrieben habe, ist ein großer Seedampfer, der weiß:rot gestrichen, bei der Nacht beleuchtet und festgeackert ist an einer Sandbank die bloß 15m unter dem Meeresspiegel liegt. Diese Feuerschiffe haben den Zweck, die großen Handelsdampfer und Ozeanschiffe zu warnen, diese Stelle, die für sie gefährlich ist zu befahren.
Während unseres Aufenthaltes in Wustrow waren besonders zwei Vorführungen interessant:
- Das Tonnenreiten. Schmucke Bauernburschen ritten auf schön geschmückten Pferden durch den Ort hin zu einer Stelle, wo zwischen zwei Bäumen eine große Tonne aufgehängt war. Die Burschen trugen in ihren Händen hölzerne Stäbe und stießen und schlugen dann solange auf die Tonne, bis sie gänzlich zertrümmert war. Wer nun die letzte Daube oder Stäbe der Tonne herunterschlug, wurde zum Dauben oder Stäbenkönig und wer den letzten Rest der Tonne herunterschlug, wurde zum Tonnenkönig gefeiert und es wurde ihm königliche Ehren erwiesen, indem er feierlich durch Wustrow geleitet wurde. Diese Vorführung hat einen historischen Hintergrund. Nach einem verlorenen Krieg mußten die Bewohner Wustrows und des sogen. Fischlandes mehrere Tonnen Fische als Kriegstribut an die Schweden abliefern. Dies geschah natürlich sehr ungern. Die Bewohner des Fischlandes protestierten gegen diese Fischlieferung lange Zeit vergebens. Endlich hörte man doch auf ihren Protest und es kam gerade, als sie mit den Tonnen Fischen auf dem Weg nach Schweden waren, die freudige Nachricht, daß ihnen der Tribut erlassen sei. Voll Freude kehrten sie zurück, hängten die Tonne Fische zwei Bäumen auf und schlugen solange auf die Tonne, bis sie gänzlich zerstört war. Mit den Fischen düngten sie alsdann ihre Felder.
- Eine 2. interessante Vorführung war die Rettung Schiffbrüchiger aus Seenot mit Rettungsboot vom sinkenden Schiff mit Raketenapparat.
Außer diesen Vorführungen wurde noch Preisschießen und ein Trachtenzug veranstaltet.
Nun auch einige Worte über den Ostseebadeort Wustrow selbst. Swante Wustrow, eine alte slawische Ansiedlung heißt auf deutsch heilige Insel. An der Stelle, wo die heutige protestantische Kirche steht, soll früher der höchste Slavengott einen Tempel gehabt haben. Als die Slaven christlich wurden, wurde an dieser Stelle eine katholische Kirche erbaut zu Ehren des hl. Jodukus von der in der jetzigen protestantischen Kirche, die ca. 50 Jahre alt ist, außer dem Bilde der früheren Jodokkirche noch ein Taufstein gut erhalten ist. Diese Insel heißt auch Fischland und war ein vielumstrittenes Gebiet, gehört Schweden, Polen, Preußen und jetzt Mecklenburg. Wustrow ist eine Nehrung, die das Fischland mit dem Darm und Singst verbindet. Der reizende, saubere, in der Mehrzahl von Kapitänen und Steuerleuten bewohnte, von schönen schattigen Alleen durchsetzte Ort zieht sich vom Binnenwasser, dem Saaler Bodden, bis an die Ostsee.
In der Nähe breitet sich ein schmucker Kurpark aus, jenseits des Ortes liegt ein trocken grindiger Tannenwald, die Luft ist stark salzig. Schwache und Leidende können warme Seebäder nehmen. Gelegenheit zum Rudern und Segeln ist reichlich geboten. Auch ein schöner Tennisplatz ist vorhanden. Wustrow erfreut sich steigender Beliebtheit. Wer Ruhe und Stille in schöner Natur suchen will, der wird sich auf dem wellenumrauschten Fischland wohl finden. Die Kurzeit beginnt am 15. Mai. Vermöge ihre Abgeschiedenheit vom Lande und ihrer Einsamkeit sind die Bewohner Wustrows etwas verschlossen, sehr zurückhaltend und schwer zugänglich.
Hat man aber ihr Herz erobert, so sind sie herzlich zugetan und freundlich. Sie wollen unter sich bleiben; darum die vielen Verwandtschaftsheiraten , aber trotzdem haben sie schöne kräftige Nachkommenschaft. Den in ihrer Gemeinde sich Ansiedelnden bringen sie großes Mißtrauen entgegen.Sie nennen sie bloß die „Isebahner“, d.h. Eisenbahner, die auf der Eisenbahn zu innengekommen sind. Obwohl sie im plattdeutschen Gebiet liegen, sprechen sie mit den Fremden in guter leicht verständlicher hochdeutscher Sprache, unter sich allerdings gebrauchen sie den plattdeutschen Dialekt, der uns Süddeutschen fast vollständig unverständlich ist.
Die Bewohner Wustrows waren früher sehr reich: jede Familie hatte ein eigenes Schiff, aber durch die Rheedereien mit ihren Dampfschiffen und durch die Inflation sind sie meistens verarmt und sind auf den Fremdenverkehr und auf die Badegäste angewiesen. Die Landwirtschaft ist auch nicht auf Rosen gebettet, da der Boden durchwegs ein leichter Sandboden ist.Wegen des Mangels an Steinen sind die Ortsstraßen und Verbindungswege, die zwar sehr schön angelegt sind, in ganz miserablem Zustand: Rad-, Motorradfahrer, Autos würden im Sande versinken, weswegen man von diesen Fahrzeugen nicht belästigt wird, was zur Reinheit der Luft und zur Ruhe viel beiträgt.
So sehr den wirtschaftlich armen Bewohner Wustrows ein zahlreicher Fremdenverkehr und recht viele Badegäste zu gönnen und zu wünschen sind, so kann ich als kathol. Geistlicher meinen Mitbürgern und den Katholiken, die sich längere Zeit dort aufhalten wollen und gewohnt sind jeden Sonntag ihren religiösen Pflichten nachzukommen und auch am Werktage die hl. Messe besuchen wollen, das Ostseebad und den Kurort Wustrow keineswegs empfehlen, da mann von Wustrow aus überall hin fast 2 Stunden mit dem Dampfer und Bahn zu fahren hat, um eine katholische Kirche zu erreichen.