Am Stillen Herd
Wöchentliche Unterhaltungsbeilage zur Fränkischen Presse (Kronach Tagblatt)
Auszug
Erinnerungen und Erlebnisse auf einer Ostseefahrt
Vom 11. - 17. Juni 1927
Von einem katholischen Geistlichen H.D.R.
Es ist eine dankbarste zu begrüßende Einrichtung der deutschen Reichsbahngesellschaft von Zeit zu Zeit Feriensonderzügen Angehörige eines Bundesstaates zu sammeln und sie durch das schnell dahinsausende Dampfroß nach einem anderen deutschen Bundesstaat zu befördern. Diese Landes-Sonderzüge haben einen zweifachen sehr idealen Zweck. Einerseits lernen sich die Angehörigen des Bundesstaates, von dem der Zug ausgeht, besser kennen, schätzen, sie sehen auch viele Städte, Flüsse, Berge, Täler, Kunst- und Baudenkmäler ihrer engeren Heimat.
Auf der anderen Seite schauen sie bei der Durchfahrt viele Naturschönheiten, herrliche Gegenden und volkreichen Städte unseres weiteren deutschen Bayernlandes und lernen näher und besser kennen Land und Leute des Bundesstaates und der Gegend, welche der Sonderzug sich zum Zielpunkt gewählt hat. Durch solche Landessonderzüge werden die Deutschen einander näher gebracht und es wird in den Teilnehmern Liebe und Freunde am engeren und weiteren deutschen Vaterlandes geweckt.
So wurde auch von der Reichsbahndirektion München ein Verwaltungs-Sonderzug ausgeschrieben, der am 11. Juni in München abging, über Augsburg, Nürnberg, Bamberg, Lichtenfeld, Saalfeld, Leipzig, Magdeburg, Stendal, Wittenberge, Schwerin, Bad Kleinen, Bötzow, Rostock und Ribnitz fuhr, die Passagiere dann mit verschiedenen Dampfern über den Saales Bodden hinüber schiffte nach dem Zielorte dieser Sonderfahrt, nach dem Ostseebad Wustrow.
Auf der Hinfahrt wurde ein längerer Aufenthalt gemacht in Leipzig, wo wir vom Bayernvereine am Bahnhof mit den Klängen der Musik freundlichst begrüßt, durch die Straßen Leipzigs geleitet und hingeführt wurden zum Matheser, wo sich unsere Landleute zahlreich versammelten und unter Musik und schönen Reden die Zeit verkürzt wurde. Viele unserer Fahrgäste besichtigten das Völkerschlachtdenkmal und andere Sehenswürdigkeiten der Stadt Leipzig.
Einen dreistündigen Aufenthalt nahmen wir dann in der alten Hansa und Universitätsstadt Rostock, wo wir mit der Elektrischen langsam durch die Straßen Rostocks fuhren und von den Führern auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt aufmerksam gemacht wurden. Rostock zählt zirka 50.000 Einwohner, darunter 2.000 Katholiken. Herrliche Kirchen überragen das Stadtbild, die bedeutendste davon, die Marienkirche, die Klosterkirche, die St. Peters und St. Nikolauskirche erinnern noch an die katholische Vergangenheit der Stadt Rostock und überhaupt des Landes Mecklenburg, das bei unglücklichen Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert ein Opfer der Reformation geworden ist.
Mecklenburg ist heute fast protestantisch und gehört der evangelisch-lutherischen Konfession an. Die Pastoren und das Volk sind noch streng gläubig und hängen fest an dem Glauben der Reformation. Die Katholiken und alles katholische sind ihnen zuwider und am liebsten wäre es ihnen, wenn keine katholische Seelsorgstelle dort wäre. Früher, vor der Revolution war Mecklenburg das Land der krassesten Intoleranz gegenüber den Katholiken. Keine katholische Kirche durfte gebaut werden und die Betsäle der Katholiken durften äußerlich kein Symbol eines katholischen Gotteshauses tragen. Nur mit vieler Mühe und nach den härtesten Kämpfen gelang es dem überaus eifrigen, 25 Jahre dort wirkenden kathol. Pfarrer der Stadt Rostock eine herrlich, geräumige katholische Kirche zu bauen. Nach der Revolution haben auch in dem ehemals katholikenfeindlichen Land Mecklenburg die Katholiken freie Relegionsübung, dürfen Kirchen bauen, Seelsorgerstellen errichten und auch in ganz Protestant. Städten und Badeorten für die anwesenden Katholiken Gottesdienste abhalten. Sogar eine Fronleichnamsprozession auf dem freien Platz um die katholische Kirche herum dürfen die Katholiken Rostocks veranstalten, haben also dasselbe Recht das im katholischen Bayern die intolerante, katholikenfeindliche Kreishauptstadt von Oberfranken, Bayreuth, ihren katholischen Mitbürgern noch einräumt.
Da am Tage unserer Ankunft das Dreifaltigkeitsfest gefeiert wurde, durfte ich mit Erlaubnis des Pfarrers in Rostock in der kathol. Kirche die Frühmesse um 1/2 7 Uhr abhalten, in der die Schwestern und noch andere Gläubige die hl. Kommunion empfingen. Die Frühmesse und das um 8 Uhr abgehaltenen Hochamt, in dem der alte anheimelnde Messgesang: „Hier liegt vor deiner Majestät im Staub die Christenschaar“ gesungen wurde, waren verhältnismäßig eher gut besucht. Die Kirchenbesucher legten eine sehr andächtige Haltung an den Tag. Besonders wunderte mich die rege und andächtige Anteilnahme der Männerwelt an dem Gottesdienste und der andächtige Gesang. Leider konnten von unseren katholischen Mitreisenden nur vereinzelte am Dreifaltigkeitsfeste ihre Christenpflicht erfüllen, da im Reiseprogramm ein Gottesdienstbesuch nicht vorgesehen war und die die wenigsten Katholiken wußten, daß und wo eine katholische Kirche war. In einer längeren Unterredung mit dem Küster erfuhr ich, daß die katholiken Rostocks und der näheren Umgebung im Großen und Ganzen ihrem kathol. Glauben und ihrer Kirche treu ergeben sind und fest zusammenhalten; beklagenswert sind dort die vielen Mischehen, die aber meistens nach den Grundsätzen der katholischen Kirche abgeschlossen werden mit katholischer Trauung und katholischer Kindererziehung.
Zur Zeit werden die Katholiken der weidausgedehnten mecklenburgischen, zu den nordischen Missionen gehörenden Diaspora von 15 kathol. Seelsorgerstellen aus unter den schwierigsten Verhältnissen mit der Seelsorge betraut. Ein Katholik, der als Arbeiter oder als Dienstbote oder als Angestellter oder als Beamter in dieser Riesendiaspora kommt, ist für die katholische Kirche sicher verloren, wenn er nicht ganz fest im katholischen Glauben und nicht gründlich in seiner hl. Religion unterrichtet ist. Was das Verhältnis zwischen Kirche und Schule in Mecklenburg anlangt, so sind Kirchendienst und Schuldienst noch organisch verbunden; also der Lehrerin an einem Pfarramt zugleich noch Mesner und Organist und bekommt als solcher nur eine geringe Funktionszulage. Allerdings ist man daran, dieses Verhältnis zu lösen, wie es bei uns in Bayern und anderen deutschen Ländern schon nach der Revolution geschehen ist. Aber als großes Hindernis erweist sich die Armut der protestantischen Kirche in Mecklenburg, die durch die Inflation und durch frühere Abtretung von Kirchengütern an den Staat großen Schaden erlitten hat.
Bevor wir Rostock verlassen, muß ich noch erwähnen das alte Rathaus mit seinen 7 Türmen, das am Markplatz steht und von allen 7 Straßen, die am Marktplatz einmünden, gesehen werden kann. Diese 7 Türme sollen erinnern an die ehem. 7 Ratsherren der Stadt Rostock. Von den noch erhaltenen ist das schönste das prächtige Kröpeliner Tor. - Morgens um 9 Uhr fuhr unser Sonderzug nach 3 stündigen Aufenthalt in Rostock weiter nach Ribnitz am Südrande des Saaler Boddens. Ribnitz war, wie Überreste der alten Mauern und ein massives Tor noch andeutet, früher eine Festung. Von Ribnitz aus fuhren wir in 3 Dampfern, dem Ziele unserer Fahrt, unter den Klängen der Reichskapelle Rostock. Während der Bahn- und Dampferfahrt und auf allen Aufenthaltsplätzen herrschte ein fideles, echt bayrisches gemütliches Leben und Treiben.