Thomas Small | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark „Thomas Small"



  1. Am 11. Oktober 1885 verließ die Rostocker Bark „Thomas Small“, Unterscheidungssignal MCLH, ein Schiff von 1136,9 cbm=401,32 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt, mit einer nach Wilmington in Nord-Amerika bestimmten Ladung von 440 Tons Düngersalz Geestemünde. Die Bark lag hinten 14 Fuß 6 Zoll und vorne 14 Fuß englisch tief. Das Salz war lose und ohne Garnier im Raume verstaut, erreichte unter der großen Luke fast das Deck und schrägte sich nach allen Seiten ab. Die Besatzung bestand mit Einschluß des Schiffers Wilhelm Dillwitz aus Wustrow in Mecklenburg und des Steuermanns Carl Schultz aus Hollendorf bei Wolgast aus 11 Personen. Der Wind war, als die Bark ausging, NO, flau, zog sich aber, nachdem man die Nacht zum 12. October hindurch lavirt hatte, am Vormittage dieses Tages nach NW. Am 12. October ward Mittags Norderney in SzW gepeilt, dann ward gewendet und bis Abends 6 Uhr abgelegen, worauf man wieder wendete. Abends 8 Uhr peilte man Norderney-Feuer in Süd, ungefähr 12 Seemeilen ab und legte die Bark nun mit NNWCurs an den Wind, welcher inzwischen nach West bis WSW gegangen war und sturmartig zu wehen begonnen hatte, so daß man die leichten Segel und den Besahn festmachen mußte.

    Um Mitternacht, bis zu welchem Zeitpunkt seit der letzten Peilung von Norderney 10 Seemeilen abgesegelt waren, übernahm der Steuermann die Wache. Wind und See nahmen mehr und mehr zu, und die Bark arbeitete schwer. Morgens 1 Uhr 30 Minuten ließ der Steuermann die Pumpe anschlagen, bei welcher sich bisher kein vermehrtes Wasser gezeigt hatte. Dieselbe schlug jedoch, obwohl sie bis Morgens 3 Uhr ununterbrochen energisch bedient wurde, nicht mehr lenz und warf viel Salz mit aus. Als der Steuermann sich jetzt durch die Vorderluke in den Raum begab, um nach dem Leck zu suchen, fand er dort bereits 6 Fuß Wasser. Der Schiffer und die Kojenwache wurden sofort an Deck gerufen. Man setzte beide Pumpen in Gang und brachte das Schiff vor den Wind, um lenz zu pumpen, allein die Backbordpumpe wurde gleich darauf verstopft und versagte den Dienst. Man begann nun, während die eine Pumpe im Gange blieb, gleichzeitig mit Pützen Wasser aus dem Raum zu schöpfen, was man indeß, weil die in letzterem umhertreibenden Fässer und Holztheile das Schöpfen zu sehr erschwerten, bald als nutzlos wieder aufgab.

    Noch einmal versuchte man, den Leck im Raum aufzufinden, aber bei dem starken Rollen des Schiffes wollte das auch jetzt nicht gelingen. Da inmittelst das Wetter immer schlechter geworden war, beschloß man, wenn möglich, die Elbe einzulaufen. Man steuerte daher OzS und hoffte mit diesem Curs Helgoland in Sicht zu bekommen und eventuell einem Schlepper zu begegnen. Da sich diese Hoffnung aber im weiteren Verlaufe des 13. October nicht erfüllte, das Wasser im Raume höher und höher stieg, und die Kräfte der unablässig bei den Pumpen stehenden Mannschaft nahezu erschöpft waren, entschloß sich die Besatzung, um thunlichst das Schiff, Ladung und das eigene Leben zu retten, den ersten besten Strand aufzusuchen. Um 3 Uhr 30 Minuten Lachmittags kam der Feuerthurm von Amrum in Sicht. Man hielt gerade auf denselben zu und um 4 Uhr kam die Bark gleich westlich von Kniepsand fest. Der Grund besteht dort aus weichem Sande, das Schiff stieß aber bei der hochgehenden See heftig, weshalb man, dessen baldigen Aufbruch befürchtend, das große Boot, welches man bereits Morgens klar gemacht hatte, beschleunigt zu Wasser brachte und von Deck aus ohne Mitnahme von Effecten in dasselbe hineinsprang.

    Schiffer Dillwitz, welcher zuletzt hineingesprungen war, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, den das Journal und die übrigen Schiffspapiere enthaltenden Schrank zu öffnen, sah Niemanden von der Mannschaft mehr auf Deck, fragte aber im Boote, ob alle da seien, und als dies von mehreren Seiten bejaht wurde, schnitt der vorne sitzende Mann das Boot los. Inzwischen hatte der Schiffer die Insassen des letzteren überzählt und festgestellt, daß nur 10 Personen anwesend seien. Der 20 Jahre alte Leichtmatrose Carl Kniep aus Bremerhaven fehlte. Der Schiffer rief dies den Leuten zu und befahl, sofort zu wenden. Das Boot war damals ungefähr eine halbe Schiffslänge in NzO von der Bark ab getrieben und ehe es gelang, den Bug desselben gegen den Wind zu bringen, trieb es eine weitere halbe Schiffslänge in nördlicher Richtung fort.

    Man versuchte nun mit aller Macht gegen die Brandung an auf die Bark zuzurudern, konnte jedoch gegen Wind und See nicht ankommen, sondern verlor mehr und mehr Terrain und mußte es nach etwa ¾ Stunden aufgeben, dieselbe zu erreichen. Unterdessen hatte sich der Leichtmatrose Kniep vom Bugspriet der Bark aus an einem Tau heruntergelassen und war mit dem Körper etwa bis zur Brust in das Wasser hineingesunken. So sahen ihn die Insassen des Bootes hängen, als sie sich zur Umkehr entschließen mußten. Dieselben hörten ihn auch noch rufen, ohne die Worte zu verstehen, bis er, während sie auf die nahe Küste zutrieben, ihren Blicken entschwand.

    Sie erreichten glücklich den Strand, und dort meldete Schiffer Dillwitz dem anwesenden Strandvogt Quedens aus Süddorf alsbald die gefährliche Lage des Kniep mit der Bitte, den gleichfalls anwesenden Commandeur des Rettungsbootes von derselben in Kenntniß zu setzen, was dieser auch that. Da aber der Strandvogt Jensen in Nebel auf Amrum schon nach Kniepsand geeilt war, um Rettungsversuche zu machen, so trat das Rettungsboot nicht in Funktion. Strandvogt Jensen aber bemühte sich vergebens, mit seinem Boote durch die Brandung hindurch an die Bark zu gelangen, und gab endlich den Versuch auf, da er von Kniep nichts mehr gewahrte und annahm, daß derselbe bereits ertrunken sei. Am anderen Morgen ist denn auch die Leiche des Kniep angetrieben. Die Bark, welche sich mit dem Heck tief in den Sand eingebettet hatte, hat nicht abgebracht werden können und ist als Wrack demnächst mit dem geborgenen Inventar öffentlich meistbietend für 5000 M. verkauft worden. Die Ladung ist gänzlich verloren gegangen.


  2. Den Tod des Leichtmatrosen Kniep hat Schiffer Dillwitz sofort beim Strandvogt zu Amrum und demnächst auch gelegentlich der Verklarung bei dem Königlichen Amtsgericht zu Wyk angemeldet.


  3. Die Bark „Thomas Small“ ist in den Jahren 1866/67 in Rostock aus Eichenholz erbaut und seitdem vom Schiffer Dillwitz geführt worden, welcher mit ⁸⁹⁄₃₆₀ Part an dem Schiffe betheiligt und mit seinen Antheilen zu 13800 M. versichert war. Sie hatte noch bis zum September 1886 die Classe A. 1. beim Germanischen Lloyd. Im Jahre 1884 ist sie zu Hull unter Aufsicht des dortigen Experten der genannten Classificirungs-Gesellschaft gründlich abgedichtet, über Wasser neu verbolzt und gänzlich kalfatert worden. Auch vor Antritt ihrer letzten Reise ist sie noch in Geestemünde nachgesehen. Seit etwa 4 Jahren hatte sie einen festen Leck, welcher weder in Hull noch in Geestemünde bei den daselbst vorgenommenen Abdichtungen aufgefunden ist; sie machte aber nur durchschnittlich 4 Zoll Wasser in 12 Stunden, und die Pumpe brauchte der Regel nach nur alle 2 Stunden 10 bis 15 Minuten angeschlagen zu werden, um sie lenz zu halten.


  4. Was nun die Beurtheilung des vorstehend festgestellten Thatbestandes anlangt, so bedarf es


    1. keiner weiteren Ausführung, daß der Unfall durch das Leckspringen der Bark in der Nacht vom 12. auf den 13. October 1885 verursacht worden ist. Der damals entstandene Leck war so erheblich, daß die Besatzung das Schiff nicht auf den Pumpen zu halten vermochte, sondern sich gezwungen sah, dasselbe auf den Strand zu setzen, was den Verlust der Bark und deren Ladung, sowie den Tod des Leichtmatrosen Kniep zur Folge hatte.


    2. Ueber den Sitz, die Art und den Umfang des Lecks hat, da das Wrack am Strande von den Wellen zerschlagen ist, nichts Bestimmtes festgestellt werden können. Das Seeamt hat sich daher eines Ausspruchs über die muthmaßliche specielle Entstehungsursache desselben enthalten zu sollen geglaubt. Uber daraus, daß die Bark bereits am zweiten Reisetage und ohne daß sie mit besonders schlechtem Wetter zu kämpfen gehabt hatte, so schwer leck sprang, daß sie aufgegeben werden mußte, rechtfertigt sich der Schluß, daß sie sich zur Zeit der Ausreise nicht mehr in einem seetüchtigen Zustande befunden hat.

      Nach Artikel 480 des Handelsgesetzbuchs hat nun zwar der Schiffer vor Antritt der Reise dafür zu sorgen, daß sein Schiff in seetüchtigem Stande ist, und trifft ihn mithin für die Seeuntüchtigkeit desselben, sofern er es an der gehörigen Fürsorge fehlen ließ, die volle Verantwortung. Wenn gleichwohl vorliegend Schiffer Dillwitz von einem Verschulden an dem auf eine Seeuntüchtigkeit der Bark zurückzuführenden Unfall freigesprochen wurde, so geschah das, weil er nach den in ratio III festgestellten Reparaturen hinlängliche Fürsorge für die gute Beschaffenheit seines Schiffes bethätigt hat und im Hinblick auf jene Reparaturen, sowie auf den Umstand, daß die Bark noch Classe hatte, mit Grund annehmen durfte, daß dieselbe für die vorhabende Reise noch in ausreichendem Maße seetüchtig sein werde.


    3. Nach dem Eintritt des Lecks war das Verhalten der Besatzung ein durchaus angemessenes und der Sachlage entsprechendes. Als man weder Helgoland in Sicht bekam, noch einem Schleppdampfer begegnete, war es, da sich das Schiff trotz des Pumpens mehr und mehr mit Wasser füllte und die Kräfte der Mannschaft auf die Neige gingen, vollkommen gerechtfertigt, den nächsten besten Strand aufzusuchen, zumal man mit dem inzwischen fast ganz nach Süd gegangenen Winde die Elbmündung unter keinen Umständen erreichen konnte. Als dann die Bark auf dem Strande festgekommen war, hatte ein längeres Verweilen an Bord derselben keinen Zweck, war vielmehr deren alsbaldiges Verlassen dringend angezeigt. Denn da das Schiff heftig in der Brandung stieß, so stand das Aufbrechen desselben, sowie das Fallen der Masten jeden Augenblick zu befürchten, und beides mußte während der Nacht, welche nahe bevorstand, der Besatzung doppelt gefährlich werden.


    4. Ein Verschulden an dem Tode des Kniep hat weder dem Schiffer noch jemandem von der Mannschaft zur Last gelegt werden können; dem ersteren umsoweniger, als er den Befehl zum Losschneiden des Bootes nicht ertheilt hat. Wo Kniep war, als die Uebrigen in das Boot sprangen, ist nicht aufgeklärt; wahrscheinlich ist er damals im Roof gewesen, um noch etwas von seinen Effekten zu bergen. Nachdem man ihn im Boote vermißt hatte, ist seitens der Insassen desselben alles aufgeboten, um ihn zu retten, und als letzteres nicht gelang, hat Schiffer Dillwitz sofort nach der Landung die Hülfe des Strandvogts und des Rettungsboots für den Verunglückten nachgesucht. Daß das letztere nicht ausging, scheint durch die vom Strandvogt Jensen unternommenen Rettungsversuche nicht gerechtfertigt zu sein. Denn das besser bemannte Rettungsboot hatte jedenfalls viel mehr Aussicht die Brandung zu überwinden und würde wahrscheinlich durch dieselbe hindurch an das Wrack gelangt sein. Daß es auf letzterem den p. Kniep noch lebend angetroffen haben würde, ist freilich kaum anzunehmen.


    5. Die nicht geschehene Bergung des Schiffsjournals wird durch die Umstände entschuldigt. Schiffer Dillwitz konnte dasselbe nicht mitnehmen, als er das Schiff verließ, weil er den Auszug der Kommode, in welcher es aufbewahrt wurde, nicht zu öffnen vermochte, eine Thatsache, welche durch das heftige Aufstoßen der Bark hinlänglich erklärt wird. Als er im Laufe der nächsten Tage aber wieder an Bord kam, war, wie glaubhaft von ihn versichert ist, bereits der ganze Inhalt der Cajüte fortgewaschen.


    6. Den Vorschriften der §§. 61 und 62 des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 konnte Schiffer Dillwitz nicht nachkommen, da das Schiffsjournal verloren war, aber er hat den Tod des p. Kniep ungesäumt bei dem Strandamt und dem nächsten Amtsgericht zur Anzeige gebracht und somit nach Ansicht des Seeamts auch in dieser Beziehung seiner Pflicht als Schiffer Genüge gethan.


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