Seeunfall der Schoonerbark „Paul Friederich Pogge"
Spruch des Seeamts zu Rostock vom 7. März 1888, betreffend den Seeunfall der Schoonerbark „Paul Friederich Pogge“ von Rostock.
Der Spruch des Seeamts lautet:
Die Beschädigungen, welche die Schoonerbark auf ihrer Reise von Liverpool nach Danzig im Oktober 1887 erlitten hat, und in Folge deren dieselbe in Christiansand als reparaturunwürdig condemnirt worden ist, sind nach Ansicht des Seeamts durch das tagelange Arbeiten des Schiffes in hoher See, sowie durch den Umstand verursacht, daß die Pumpen von Salz unklar geworden waren. Ein Verschulden an dem Unfalle wird weder dem Schiffer noch jemandem von der Mannschaft zur Last gelegt.
Gründe.
- In heutiger Hauptverhandlung ist auf Grund der Aussagen des Schiffers Ohle, der Registerakten, des Schiffsjournals, der vor dem Rathhausgericht zu Christiansand abgelegten Verklarung vom 24. Oktober 1887, des Besichtigungs-Protokolles, datirt Christiansand 8. November 1887, und der zur Verlesung gebrachten schriftlichen Mittheilungen des hiesigen Experten des Büreaus Veritas, des Schiffsbaumeisters Maréén in Wismar und der Schiffsbaumeister Wichhorst && Co. zu Altona Nachstehendes thatſächlich festgestellt.
- Am 9. Oktober 1887 verließ die in Rostock beheimathete, vom Schiffer Ernst Ohle aus Wustrow geführte Schoonerbark „Paul Friederich Pogge“, Unterscheidungssignal MCHL, mit einer nach Danzig bestimmten Ladung Salz Liverpool. Das Salz, 446 Tons, war ohne Garnier lose in den Raum geschüttet. Der Tiefgang des Schiffes betrug hinten 16 Fuß 5 Zoll und vorne 15 Fuß 6 Zoll englisch. Die Mannschaft bestand mit dem geprüften Steuermann Heinrich Schüldt aus Ribnitz aus 10 Personen. Ein Chronometer sowie die erforderlichen Seekarten waren an Bord, und soweit ermittelt, ließ auch sonst die Ausrüstung nichts zu wünschen übrig.
Die Reise war von vorneherein von stürmischem Wetter begleitet und die Schoonerbark hatte fast beständig mit hoher und wild durch einander laufender See zu kämpfen. Trotzdem konnten die Pumpen bis zum 20. Oktober noch lenz gehalten werden. An diesem Tage, an welchem man nach dem Mittags-Besteck auf 56° 21′ Nordbreite und 5° 4′ Ostlänge, also etwa 30 Seemeilen in NO von Doggerbank stand, stürmte es schwer aus NW, und die Schoonerbark, welche mit nordöstlichem Curse anlag, arbeitete furchtbar. Die Mannschaft stand von Nachmittags 4 Uhr an beständig bei den Pumpen, konnte indeß, da dieselben anfingen, von Salz unklar zu werden, nur wenig Wasser auspumpen.
Am 21. Oktober nahm zwar der Sturm etwas ab, aber die See blieb noch sehr hoch, und Vormittags gegen 11 Uhr setzten sich die Pumpen ganz mit Salz zu. Abends 10 Uhr sichtete man von der Marsraa aus im Norden Rivingen-Feuer, und da die Pumpen, welche man vergeblich zu klaren versucht hatte, immer noch verstopft waren, beschlossen Schiffer und Steuermann, an der norwegischen Küste einen Nothhafen aufzusuchen. Am 22. Oktober erblicke man Morgens 4 Uhr Oxö-Feuer in NO. Da sich das Wetter gebessert hatte, konnte man die Pumpen peilen, und stand das Wasser darnach bereits 3 Fuß 1 Zoll hoch im Raum. Morgens 6 Uhr 30 Minuten kam ein Lootse an Bord, welcher das Schiff auf die Rhede von Fleckerö brachte, von wo es noch selbigen Tages durch einen Dampfer nach Christiansand hinauf geschleppt wurde.
- In Christiansand ist die Schoonerbark auf Veranlassung des dortigen deutschen Consuls, nachdem zuvor die Ladung gelöscht worden, von Sachverständigen innen- und außenbords besichtigt. Das Ergebnis der Besichtigung war folgendes:
Außenbords hatte sich das Schiff in Laschen und Nähten sehr begeben. Auf Deck waren zwei Stützen gebrochen, es sah aber aus, als sei dies bei der einen derselben ein älterer Schaden. Dort hatten sich weiter, insbesondere auf Backbordseite, mehrere Planken von den Decksbalken gelöst. Der innere Verband des Schiffes hatte sich sowohl in den Winkeln als in den Hängeknieen stark gelockert. Ein großer Theil der Bolzen war dort lose. Von den Decksbalken waren 4 gebrochen. Im Bug waren Planken und Inhölzer derartig vom Steven abgewichen, daß man durch die Kielnaht das Tageslicht eindringen sah. Die Garnierungen waren sehr schlecht und theilweise verrottet, ebenso der mittlere Theil des unteren Kielschweins. Die Kimmung war stark mit Salz angefüllt:
Die Sachverständigen veranschlagten die Kosten der nothwendigen Reparaturen auf 17 800 Kronen, schätzten den Werth des Schiffes in seinem havarirten Zustande auf 5000 Kronen und sprachen sich erachtlich dahin aus, daß der Werth der Schoonerbark nach Ausführung der von ihnen als nothwendig bezeichneten Reparaturen noch lange nicht die Höhe der Reparaturkosten erreichen würde. Schiff und Inventar sind demzufolge mit Zustimmung der Rhederei im Beisein des deutschen Consuls öffentlich meistbietend verkauft worden, und hat die Auskunft im Ganzen 3150 Kronen betragen.
- Die Schoonerbark „Paul Friederich Pogge“ ist im Jahre 1854 zu Wismar aus Eichenholz erbaut und im Jahre 1876 zu 372,34 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessen. Im Jahre 1876 ist sie ebendaselbst auf der Werft des Schiffsbaumeisters Marén gezimmert. Damals sind das Deck, der Roof, die Luken, ein Mast, das Kielschwein, das Ruder und mehrere Deckskniee erneuert, das ganze Schiff kalfatert und haben sich die Kosten auf 11200 M belaufen. Im Winter 1882- 83 ist die Bark auf derselben Werft einer umfänglicheren Reparatur unterzogen worden, wobei unter Anderen ein Mast, 14 Zwischendeckskniee, 5 Gänge Berghölzer und mehrere Planken im Garnier erneuert sind. Die Kosten dieser Reparatur betrugen ungefähr 4000 M. Im Sommer 1885 war die Schoonerbark zu Altona im Trockendock der Schiffsbaumeister Wichhorst & Co.
Sie hat damals nach vorgängiger Kalfaterung neuen Kupferbeschlag erhalten, auch sind einige Decksplanken, eine Marsraa und ein Ankerstock erneuert worden. Die Kosten beliefen sich auf ungefähr 2000 M. Im Jahre 1886 ist das Schiff endlich sowohl in Rotterdam wie in Newcastle nachgesehen und nach Bedarf reparirt, wodurch der Rhederei an Kosten 297,28 Fl. bezw. 24 £ erwachsen sind. Die Klasse, welche dasselbe so lange bei Büreau Veritas gehabt hatte, war im April 1887 abgelaufen und ist dann nicht wieder erneuert worden.
Schiffer Ernst Ohle hat die Führung der Schoonerbark erst im August 1886 übernommen, und zwar in Vertretung seines erkrankten Bruders, des Schiffers Heinrich Ohle, von welchem sie bis dahin geführt war, und hatte keine Parten im Schiffe. Wie er versichert, hat sich dieselbe, so lange sie gefahren, von der letzten Reise abgesehen, stets als ein verhältnißmäßig dichtes Schiff erwiesen, so daß die Pumpen für gewöhnlich nur Morgens und Abends angeschlagen und bei schwerem Wetter nur auf jeder Wache etwa eine Viertelstunde lang bedient zu werden brauchten, um sie lenz zu halten. Einige schadhafte Stellen im Garnier hat der Schiffer, wie auf Grund seiner nicht wiederlegten Behauptung als festgestellt angesehen ist, vor Beginn der letzten Reise mit Brettstücken übernagelt.
- Eingeleitet ist die die vorliegende Untersuchung vom Seeamt aus Anlaß einer in der Rostocker Zeitung unter „Schiffsnachrichten“ enthaltenen Mitheilung des Unfalls.
- In Erwägung der vorstehenden thatsächlichen Feststellungen glaubte das Seeamt den Verlust des Schiffes auf zwei Umständen, nämlich auf das andauernde schwere Arbeiten des letzteren in der hohen See und auf das Unklarwerden der Pumpen zurückführen zu sollen. Die Art und Beschaffenheit der Beschädigungen, welche die Schoonerbark nach Ausweis des Besichtigungsprotokolles davongetragen hat, lassen es unzweifelhaft erscheinen, daß die Mehrzahl derselben im Wesentlichen durch das starke Wraken des Schiffes entstanden ist. Daneben aber wird das Wasser, welches sich, da die Pumpen verstopft waren, im Raum ansammelte und dort hin und her wusch, zu der Lösung des Verbandes mit beigetragen haben.
Zu der Annahme, daß sich die Schoonerbark bei Antritt ihrer letzten Reise nicht mehr in einem seetüchtigen Zustande befunden habe, hat die Untersuchung keinen ausreichenden Anhalt ergeben. Die Beschädigungen, welche dieselbe bei ihrem Fortgange aus Liverpool erlitten hat, und welche so bedeutend waren, daß sie die Condemnirung zur Folge hatten, finden schon in dem tagelangen Kampf mit Sturm und See, dem erfahrungsmäßig auch jüngere und besterhaltene Schiffe häufig zu erliegen pflegen, ihre hinlängliche Erklärung und rechtfertigen einen Schluß auf Seeuntüchtigkeit nicht ohne Weiteres.
Eine schlechte Beschaffenheit des Kielschweins erscheint nun zwar an sich geeignet, die Seetüchtigkeit eines Schiffes in Frage zu stellen, vorliegend ist jedoch durch das Besichtigungsprotokoll in keiner Weise festgestellt, welchen Umfang der angebliche verrottete Theil des Kielschweins gehabt hat, und da derselbe nach Angabe des Schiffers ein ganz geringfügiger gewesen sein soll, so trägt das Seeamt Bedenken, auf jenen Defekt die Annahme einer Seeuntüchtigkeit zu gründen, für welche die constatirte mangelhafte Beschaffenheit des Garniers kaum in Betracht kommen kann, da die angefaulten Stellen desselben mit Brettern übernagelt waren.
Demgegenüber sprechen für die Seetüchtigkeit der Schoonerbark nicht nur die zahlreichen und zum Theil bedeutenden Reparaturen, welchen dieselbe seit dem Jahre 1878 unterzogen worden ist, sondern auch die Thatsache, daß das Schiff noch bis zum April 1887 bei Büreau Veritas Klasse gehabt hat. Im Hinblick hierauf, sowie in Beihalt des Umstandes, daß sich die Schoonerbark auf ihrer vorletzten Reise von Westindien nach England trotz des schlechten Wetters, mit welchen dieselbe Inhalts des Journals begleitet war, als vollkommen haltbar und gut erwiesen hatte, lag denn auch für den Schiffer kein Grund vor, ihre volle Seetüchtigkeit in Zweifel zu ziehen, und so kann man ihm daraus, daß er es unterließ, vor der Ausreise aus Liverpool das Schiff noch erst im Boden untersuchen zu lassen, den Vorwurf einer Pflichtversäumniß nicht machen.