Seeunfall der Schooner „Paul Grampp"
Spruch des Seeamts zu Rostock vom 21. December 1882, betreffend den Seeunfall der Brigg „Pallas“ von Rostock. Der Spruch des Seeamts lautet:
daß die in der Nacht vom 15. bis 16. November 1881 an der Südküste der Insel Gotska-Sandö erfolgte Strandung der Brigg, welche deren gänzlichen Verlust zur Folge hatte, durch eine starke Stromversetzung nach Norden verursacht ist und Niemanden von der Besatzung eine Schuld an dem Unfalle trifft.
Gründe.
- Auf Grund der heutigen Vernehmung des Steuermanns Heinrich Niemann, sowie der heute verlesenen Schriftstücke, als der Seeamtsprotocolle vom 15. und 29. December 1881, enthaltend die Aussagen des Schiffers Heinrich Daniel Niemann aus Althagen, zur Zeit auf See abwesend, des Kochs Joachim Busch aus Wyk und des Matrosen Georg Rothbart ebendaher, eines Schreibens des deutschen Consuls zu Wisby vom 9. Januar 1882, eines Schreibens des Schiffsbaumeisters Hansen zu Wismar vom 23. December 1881, einer Zählkarte der Lootsendirection des Lootsendiſtrictes Gotland vom 5. December 1881, des Verklarungsprotocolls vom 7. December 1881 und des Schiffsjournals ist folgender Thatbestand als festgestellt an genommen.
- Die in Rostock beheimathete Brigg „Pallas“, Unterscheidungssignal MCFD, ist in den Jahren 1849/50 zu Ribnitz aus Eichenholz erbaut und im Jahre 1873 zu 265,11 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessen worden. Sie war ein in gutem Stande erhaltenes und, soweit ermittelt, noch vollkommen seetüchtiges Schiff.
- Am 7. November 1881 verließ dieselbe mit einer Ladung Bretter und Planken, von denen ein Theil an Deck verstaut war, Cronstadt, um unter Führung des Schiffers Niemann nach Leith zu segeln. Sie war mit allem für die Reise Erforderlichen vollständig und gut ausgerüstet, insbesondere auch mit brauchbaren, meist neueren Seekarten, unter denen sich eine schwedische Karte der nördlichen Ostsee aus dem Jahre 1865 befand. Die Mannschaft bestand mit Einschluß des geprüften Steuermanns Heinrich Niemann aus acht Personen. Nachdem die Brigg widriger Winde halber mehrere Tage unter Hogland gekreuzt hatte, kam in der Nacht vom 14. zum 15. November zwischen 12 und 1 Uhr Utö-Feuer am Horizont im Norden in Sicht. Der Wind wehte sturnartig aus WSW, und die Brigg, welche die Obermarssegel, das Großsegel und das Briggsegel festgemacht hatte, steuerte nach SSW, so daß bei einer angenommenen Abtrift von vier Strich der wirkliche Curs SSO war.
Am 15. November, Morgens 8 Uhr stürmte es aus WNW, und bis Mittag ging der Wind durch NW und Nord nach NNO bei steifer Brise, worauf der Curs erst nach SW und dann nach SWzW geändert wurde. Mittags 12 Uhr war das Wetter so klar, daß Observationen gemacht werden konnten, nach denen das Schiff damals auf 59° 5′ Nordbreite stand. Im Laufe des Nachmittags ging der Wind nach SO und dann nach SSO, so daß von 4 Uhr an nach SW gesteuert ward.
Abends nahm die Brise an Stärke zu und die Luft wurde trübe, blieb aber feuersichtig. Um 11 Uhr Abends erblickte man das Feuer auf der Nordspitze der Insel Gotska – Sandö am Horizont in WzN und um Mitternacht peilte man dasselbe in WNW und schätzte den Abstand auf 14 Seemeilen. Um 12 ½ Uhr verschwand das Feuer hinter dem hohen Ufer der Insel. Der Curs des Schiffes war damals SWzW mit ½ Strich Abtrift, also in Wirklichkeit WSW½S. Um Mitternacht hatte der Schiffer die Wache übernommen zusammen mit den Matrosen Dade und Rothbart und dem Koch Busch, von denen der erstere Ruder stand, während sich die beiden letzteren vorne auf dem Ausguck befanden.
Nach dem auf der Karte abgesetzten Besteck glaubte der Schiffer von den beiden etwa 32 Seemeilen von einander entfernten Inseln Gotska-Sandö und Gotland gut frei zu kommen. Von dem an der Nord Spitze der letzteren Insel befindlichen, 16 Seemeilen weit sichtbaren Drehfeuer war nichts zu sehen, auch nicht vom Mars aus, in welchen der Matrose Rothbart geschickt wurde, um danach auszuschauen, was sich Schiffer Niemann aus der dicker gewordenen Luft erklärte. Das Loth ließ der letztere nicht werfen. Morgens 2 Uhr ward plötzlich vom Ausguck Brandung in Lee gemeldet. Gleich darauf stieß die Brigg mehrere Male auf sandigem Grunde schwer durch und kam dann fest. Da sie heftig rammte, ward das Ruder aus den Fingerlingen gehoben und total zerschlagen. Damit mußte jede Hoffnung, das Schiff durch Manöver mit den Segeln wieder abzubringen, schwinden, und die Besatzung beschränkte sich denn auch darauf, den Großmast zu kappen, um so das erschütternde Stoßen in etwas abzuschwächen.
Gleichwohl füllte sich jedoch, die Brigg schnell mit Wasser, welches bald 7 bis 8 Fuß hoch im Raume stand. Auf die wiederholt mit Blaufeuer gegebenen Nothsignal kam keine Assistenz herbei, und da die Brandung zu stark war, um ein Abbergen mittelst der eigenen Boote möglich, erscheinen zu lassen, so blieb der Besatzung nichts übrig, als bis auf weiteres auf dem Wrack auszuharren. Als der Tag anbrach, ergab es sich, daß man an der Südseite der Insel Gotska-Sandö gestrandet sei, deren Ufer nur 3 bis 4 Schiffslängen entfernt war. Auch jetzt kam noch keine Hülfe vom Lande. Die Besatzung warf daher einen Theil der Decklast und brachte dann in Lee ihr großes Boot zu Wasser, welches indes sofort vollschlug und kenterte, während das kleine Boot schon vorher von Deck gewaschen war.
Der Tag verging, ohne daß sich jemand am Ufer zeigte, und die Besatzung mußte auch die Nacht vom 16. zum 17. November auf dem Wrack bleiben. Am 17. November zimmerte dieselbe aus den an Deck verladenen Planken ein Floß, mit welchem es, als Nachmittags die Brandung etwas abnahm, dem Matrosen Kräft gelang, das Ufer zu erreichen. Jetzt erschienen auch Hülfsmannschaften am Strande, da es aber inmittelst dunkel geworden war, so mußte der Rest der Besatzung auch noch die dritte Nacht auf dem Wrack aushalten, und erst am 18. November bargen sich alle glücklich auf einem anderen Flosse ab.
Die Effecten der Besatzung sowie einige Segel und Trossen konnten an den nächsten Tagen gerettet werden, die Abbringung der Brigg aber erklärte der Führer eines durch Vermittelung des deutschen Consulats zu Wisby herbeigerufenen Bergungsdampfers für nicht thunlich, und sind in Folge dessen Schiff und Ladung meistbietend verkauft worden.
- In der Strandungsnacht war, wie in der Zählkarte der Lootsendirection des Lootsendistrictes Gotland bezeugt ist, die Luft dick von Nebel und lief, wie vom deutschen Consulat zu Wisby festgestellt worden, zwischen Gotland und der russischen Küste eine starke Strömung nach Norden, während über die Stromverhältnisse zwischen Gotland und Gotska-Sandö nichts Bestimmtes hat ermittelt werden können.
- Nach vorstehendem Thatbestande kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Strandung durch eine starke Stromversetzung nach Norden verursacht worden ist. Denn abgesehen davon, daß das Vorhandensein einer nördlichen Strömung in der Strandungsnacht zwischen Gotland und der russischen Küste feststeht und hieraus zu schließen ist, daß eine solche um jene Zeit auch zwischen Gotland und der schwedischen Küste gelaufen haben wird, so läßt sich bei den von der Brigg gesteuerten Cursen die Strandung überall nicht anders erklären.
Hatte man um Mitternacht das Feuer von Gotska-Sandö in WNW bei einer angenommenen Entfernung von 14 Seemeilen, so mußte man mit SW-Curs die beiden Inseln Gotska-Sandö und Gotland frei passiren, und selbst wenn die Entfernung des 16 Seemeilen weit sichtbaren Feuers bei der dicken Luft um einige Seemeilen zu groß angenommen worden sein sollte, mußte dies ohne eine erhebliche Stromversetzung nach Norden dennoch der Fall sein. Von der letzteren konnte der Schiffer, zumal das Feuer von Gotska-Sandö seinen Blicken schnell entschwand, nichts wahrnehmen.
Ihn trifft daher keine Schuld, wenn er dieselbe bei seiner Cursbestimmung nicht mit in Rechnung zog; ebensowenig ist ihm ein Vorwurf daraus zu machen, daß er nicht das Loth werfen ließ. Denn einmal durfte er, da er erst unlängst das Feuer von Gotska-Sandö in Peilung gehabt hatte, mit Grund annehmen, daß ihn sein Curs ziemlich mitten zwischen beiden Inseln hindurch führen werde, und sodann würde ihm das Loth, da die Wassertiefe an der Ostseite von Gotska-Sandö erst in unmittelbarer Nähe dieser Insel abnimmt, die Annäherung an dieselbe ohnehin zu spät angezeigt haben.
Auch nach der Strandung war das Verhalten des Schiffers ein in jeder Beziehung der Sachlage angemessenes, und insbesondere muß die Umsicht und Energie lobend anerkannt werden, mit welcher er die Rettung der Besatzung leitete und vollführte. Nach Vorstehendem hat der Unfall lediglich auf elementare Ereignisse zurückgeführt werden müssen, ohne daß dem Schiffer oder jemandem von der Mannschaft eine Schuld an demselben beizumessen gewesen wäre.