Seeunfall der Dreimastschooner „Minna"
Spruch des Seeamts zu Rostock vom 27. September 1892, betreffend den Seeunfall des Dreimastschooners „Minna“ von Rostock.
Der Spruch des Seeamts lautet:
Der im März 1892 auf der Reise von Sunderland nach Memel in der Nordsee erfolgte Untergang des Dreimastschooners „Minna“ ist dadurch verursacht, daß das Schiff im Sturm leck sprang und die Pumpen von Kohlen unklar wurden. Ein Verschulden an diesem Unfall wird dem Führer der „Minna“, Schiffer Albert Permien, nicht beigemessen. Die von dem letzteren durch sein Verhalten bewiesene Unerschrockenheit und große Pflichttreue verdient volle Anerkennung.
Entscheidungsgründe.
In der Hauptverhandlung ist folgendes thatsächlich festgestellt:
Der bis 1883 in Swinemünde, seitdem in Rostock beheimathet gewesene, zu 1323,3 cm=467,13 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessene Dreimastschooner „Minna“, Unterscheidungs-Signal JDGR, ist im Jahre 1862 zu Ueckermünde aus Eichenholz erbaut worden. Geführt wurde der Schooner von dem Schiffer Albert Permien ebendaselbst, welcher letztere mit Parten an dem Schiffe nicht betheiligt war. Die „Minna“ ist von ihrer Rhederei stets in gutem Stande erhalten worden. In den letzten 4 Jahren sind an ihr die nachstehenden Reparaturen ausgeführt:
- Im Frühling 1888 ist sie in Danzig auf der Werft des Schiffsbaumeisters Klawitter gründlich abgedichtet, wobei 2 Bugbänder, 8 eiserne Kniee und ein Theil der Verbolzung des Vorderstevens erneuert sind. Die Kosten haben sich auf 6598 M belaufen.
- Im Sommer desselben Jahres ist sie zu Hull im Boden nachgesehen, und sind die Kiel- und Stevennähte abgedichtet. Die Kosten betrugen 148 £Pfund Sterling. Damals erhielt das Schiff nach beendeter Reparatur bei Büreau Veritas die Klasse 5/6 1. 1. bis zum December 1892.
- Im Jahre 1890 ist der Schooner zu Rotterdam unter Aufsicht des dortigen Experten des Büreau Veritas mit einem Kostenaufwande von 397 Gulden nach Bedarf gebessert.
- Im Herbste 1891 ist das Schiff zu Stettin in das Dock des Vulkan verholt, dort von dem Experten des Büreau Veritas einer Besichtigung unterzogen und sodann unter dessen Aufsicht auf der Werft des Schiffsbaumeisters Fietzke über Wasser abgedichtet, wofür die Rhederei im ganzen 1490 M verausgabt hat.
Am 21. December 1891 verließ die „Minna“ Stettin, um mit einer Ladung Eichen- und Fichtenbalken nach Hartlepool zu segeln. Auf dieser Reise sprang dieselbe am 5. Januar 1892 im Sturm leck, weshalb sie gezwungen war, Gammelersund an der norwegischen Küste als Nothhafen aufzusuchen. Von dort setzte sie am 14. Januar ihre Reise fort, in deren weiterem Verlaufe sie sich stets verhältnißmäßig dicht gehalten hat. In Hartlepool ward das Schiff, nachdem die Ladung gelöscht war, genau nachgesehen, wobei sich nur eine durch Lockerung eines Bolzens entstandene Leckstelle im Zwischendeck fand, welche sorgfältig abgedichtet wurde.
In Sunderland, wohin sich die „Minna“ von West-Hartlepool durch einen Dampfer hatte schleppen lassen, nahm dieselbe eine nach Memel bestimmte Ladung Schmiedekohlen im Gewicht von 660 Tonnen ein, mit welcher sie hinten 16 Fuß 8 Zoll und vorn 16 Fuß 6 Zoll tief lag. Von dort ging sie am 7. März 1892 in See. Vor Einnahme der Ladung hatten sich Schiffer Permien und der Steuermann Zeplien durch den Augenschein davon überzeugt, daß die beiden Handpumpen und die Mühlenpumpe sowie der Pumpensood, welcher durch Werg bezw. übergenagelte Brettstücke sorgfältig abgedichtet worden, in guter Ordnung waren. Am 9. März, dem 3. Reisetage, bis wohin man Ost bis ONO gesteuert hatte, setzte gegen Mittag ein schwerer Sturm aus SW ein, welcher von Hagel- und Schneeböen begleitet war, und in dem sich eine hohe See entwickelte.
Obgleich der Wind schon nachmittags erheblich an Kraft abnahm, zeigte sich doch am Abend dieses Tages ein Leck, welcher die Besatzung nöthigte, die Pumpen häufiger und länger als sonst zu bedienen, wobei die letzteren viele Kohlen mit auswarfen. Da sich der Wind inzwischen durch Süden nach SSO gezogen hatte, ward um Mitternacht gehalst und SW gesteuert. Am 10. März musten die Pumpen, welche mehr und mehr von Kohlen unklar wurden, fortwährend in gang erhalten werden. Gleichwohl erreichte das Wasser im Raume mittags, wo man sich nach Besteck auf 56° 54′ Nordbreite und 4° 24′ Ostlänge befand, schon eine Höhe von 28 Zoll.
Ein Versuch, den Sitz des Leckes im Raume aufzufinden, blieb erfolglos. Abends 6 Uhr wurden bereits 4 Fuß 1 Zoll Wasser gepeilt, und, da gleich darauf die Mühlenpumpe und die Steuerbordpumpe ganz von Kohlen verstopft waren, wurden abends 9 Uhr Fock und Obermarssegel gesetzt und das Rettungsboot klar gemacht. Am 11. März versagte morgens bald nach Mitternacht auch die Backbordspumpe den Dienst. Man warf jetzt ungefähr 28 Tonnen Kohlen aus der Vorderluke über Bord, theils um das Schiff zu erleichtern, theils um an das Wasser im Raum gelangen zu können, welches man dann mit Pützen auszuschöpfen beabsichtigte. Da aber die kleinen Kohlen immer wieder nachliefen, konnte man das Wasser nicht erreichen. Morgens 8 Uhr kam ein englischer Fischerkutter in Sicht, und in einem Schiffsrath, welchen Schiffer Permien mit seiner Mannschaft abhielt, wurde beschlossen, denselben zu ersuchen, er möge in der Nähe der „Minna“ bleiben.
Auf das von der letzteren nunmehr gesetzte Nothsignal näherte sich denn auch der in Grimsby beheimathete Kutter, und dessen Führer erklärte, nachdem er die Pumpen der „Minna“ untersucht und unbrauchbar befunden hatte, er wolle versuchen, dieselbe nach Grimsby zu bringen, verlange für den Fall des Gelingens 500£ Pfund Sterling während er im anderen falle nichts zu beanspruchen habe, bedinge aber, daß deren ganze Besatzung zu ihm an Bord komme, um den Schooner sodann mit Leuten seines Schiffes zu besetzen. Da der englische Schiffer jede andere Art der Assistenz auf das bestimmteste ablehnte, nahm Schiffer Permien seine Offerte an, sandte mittags seine ganze Mannschaft an Bord des Kutters, blieb aber selbst an Bord der „Minna“ und erhielt von der Besatzung des Kutters dessen Steuermann und einen Matrosen zuertheilt. Mit Hülfe der letzteren segelte er sodann hinter dem Kutter her, welcher seinen Curs auf Grimsby setzte.
Der Wind wehte sturnartig aus Ost, und es lief eine hohe See, so daß das Deck der der schwer arbeitenden „Minna“ fast beständig mit Wasser angefüllt war. In der Nacht zum 12. März und während des letzteren Tages sank die letztere immer tiefer. Am Abend desselben begaben sich die beiden Leute des Kutters, weil sie deren baldigen Untergang befürchteten, wieder an Bord ihres Fahrzeuges, und jetzt blieb Schiffer Permien, welcher sein Schiff noch nicht verlassen wollte, allein auf der „Minna“ zurück. Er steuerte nun SW und hoffte, entweder bei dem günstigen Winde die damals noch etwa 80 Seemeilen entfernte englische Küste glücklich zu erreichen oder unterwegs einen Dampfer anzutreffen, welcher ihn in einen Hafen einschleppen könne.
Als Steuermann Zeplin an Bord des Kutters erfuhr, daß Schiffer Permien allein auf der „Minna“ zurückgeblieben sei, bestieg er sofort mit mehreren seiner Leute ein Boot, um zu derselben hinüberzufahren und den Schiffer zum Verlassen seines sinkenden Schiffes zu bestimmen. Das Boot vermochte aber den mit vollen Segeln laufenden Dreimastschooner nicht einzuholen, und kehrte daher zu dem Kutter zurück, welcher nunmehr seine Reise fortsetzte und die Mannschaft der „Minna“ demnächst in Grimsby gelandet hat.
Schiffer Permien steuerte die Nacht über seinen auf die englische Küste zu gerichteten Curs weiter; da aber am Morgen des 13. März der Dreimastschooner in dem Maße mit Wasser angefüllt war, daß letzteres schon hinten auf den Kohlen stand, setzte er vormittags 11 Uhr Nothsignale, worauf nachmittags 4 Uhr der in North Shields beheimathete Fischerdampfer „Admiral“ herbeikam und ihn abnahm. Auf seine Bitte blieb der „Admiral“ noch bis abends 8 Uhr in der Nähe der inzwischen noch tiefer gesunkenen „Minna“; dann aber setzte er, da er seiner Fischladung halber nicht länger verweilen konnte, die Reise fort und landete Schiffer Permien am folgenden Tage in North Shields. Ueber die weiteren Schicksale der „Minna“ ist nichts bekannt geworden.
Nach den vorstehenden Feststellungen nimmt das Seeamt an, daß die „Minna“ gesunken ist, denn sonst würde sie voraussichtlich an der englischen Küste angetrieben oder von passirenden anderen Schiffen bemerkt worden sein, und in beiden Fällen wäre unzweifelhaft eine Nachricht von ihr hierher gelangt.
Als Ursachen des Schiffsverlustes sind zwei Umstände zu betrachten: das Leckspringen des Dreimastschooners und das Unklarwerden der Pumpen desselben. Der Leck, welcher offenbar fein sehr erheblicher war, würde wahrscheinlich für sich allein der „Minna“ nicht verderblich geworden sein, da diese bei der Nähe der englischen Küste und dem günstigen Winde zweifelsohne trotz desselben einen Nothhafen erreicht haben würde. Als aber die Pumpen völlig den Dienst versagten, hatte man keine Mittel mehr, sich des eindringenden Wassers zu erwehren, und damit war das Schicksal des Schiffes entschieden.
Ueber den Sitz des Lecks sowie darüber, wie er entstanden ist, hat sich nichts bestimmtes feststellen lassen. Möglich ist daß sich wiederum ein Bolzen gelöst hatte, oder das sich bei dem Arbeiten des Schiffes in der hohen See einige Nähte begeben hatten. Auch das höhere Alter des Dreimastschooners von ungefähr 30 Jahren mag bei dem Leckspringen mitgewirkt haben. Ebensowenig ist durch die Untersuchung aufgeklärt, wie es gekommen ist, daß die Pumpen von Kohlen unklar geworden sind. Die letzteren konnten nur in die Pumpenröhre eindringen, wenn der vor Beginn der Reise gehörig abgedichtete Pumpensood eine Beschädigung erlitten hatte; worin diese aber bestanden hat und wodurch sie herbeigeführt worden ist, hat nicht ermittelt werden können.
Das Seeamt sieht es als möglich an, daß die Stauer beim Verladen der Kohlen eine Füllung oder den Pumpensood selbst mittelst der in den Raum heruntergelassenen eisernen Ladeplatten verletzt haben, hält es aber auch nicht für ausgeschlossen, daß eine Wand des Soodes beim Ueberholen des Schiffes durch die Ladung eingedrückt worden ist. Ein Verschulden trifft jedoch den Schiffer weder bezüglich des Leckes noch bezüglich der Pumpen. Im Hinblick auf die häufigen und sorgfältigen Reparaturen, welche in den letzten 4 Jahren unter Aufsicht des Experten des Büreau Veritas an demselben ausgeführt waren, durfte er sich nach der in Hartlepool vorgenommenen Abdichtung der Leckstelle mit gutem Grunde von der völligen Seetüchtigkeit der „Minna“ überzeugt halten und, wenn die letztere dennoch bei der Ausreise aus Sunderland nicht mehr voll seetüchtig gewesen sein sollte, so ist er dafür nicht verantwortlich. Den Pumpensood aber hatte er gehörig abdichten lassen und dafür, daß sich derselbe sonst in einem mangelhaften Zustande befunden habe, hat die Untersuchung keine Anhaltspunkte ergeben. Auch im übrigen bietet das Verhalten des Schiffers zu keinem Tadel Anlaß; vielmehr muß rühmend annerkannt werden, daß derselbe der ihm gesetzlich obliegenden Pflicht der Fürsorge für Schiff und Ladung bis auf das äußerste genügt und durch sein Verbleiben auf dem von der übrigen Besatzung verlassenen, im sinkenden Zustande befindlichen Fahrzeuge einen Beweis von seltener Berufstreue und hohem Muthe geliefert hat.