Max Fischer | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark „Max Fischer"



  1. In heutiger Hauptverhandlung ist zunächst auf Grund der Registerakten und der Aussagen des Schiffers Maass, des Steuermanns Voss, des Bootsmanns Both, des Zimmermanns Seeger und der Matrosen Eschner, Natzke und Rück, von denen die 5 letzteren eidlich vernommen sind, folgendes thatsächlich festgestellt:

    1. Die in Rostock beheimathete Bark „Max Fischer“, Unterscheidungssignal MDHR, ein zu 1752 cbm=618,45 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessenes Schiff, ist im Jahre 1868 zu Granville in New-Schottland aus Fichtenholz erbaut, hat bis zum April 1879 unter englischer Flagge gefahren und ist dann mit Inventar für 20500 M. an eine hiesige Rhederei verkauft worden. Seitdem hat Schiffer Joh. Richard Maass aus Wustrow sie geführt, welcher mit ¹⁹³⁄₃₆₀ als Rheder am Schiffe betheiligt und mit seinen Parten ungefähr zur Hälfte versichert war. Die Bark war ein wohlerhaltenes, durchaus seetüchtiges Schiff.


    2. Am 13. November 1885 befand sich dieselbe auf der Reise von Bristol nach Kopenhagen mit einer Ladung Coaks im Kattegat. Die Besatzung bestand einschließlich des geprüften Steuermanns Peter Voss aus Wustrow aus 11 Personen; das Schiff war in jeder Beziehung gut ausgerüstet. Insbesondere waren die Seitenlaternen von bester Beschaffenheit. Als die Bark 1879 in den Besitz der hiesigen Rhederei überging, waren dieselben gerade erst neu angeschafft worden, und mit dem Schiffe ward damals den Käufern ein Attest des Board of Trade über deren gute Qualität übergeben. Nachmittags 2 Uhr passirte die Bark das Feuerschiff von Anholt in unmittelbarer Nähe und lag sodann bei frischer Brise aus SW zwischen Sz0 und SSO an. Alle dienlichen Segel standen und die Fahrt betrug 4½ Seemeilen in der Stunde.

      Nachmittags 3 Uhr wurde das genannte Feuerschiff zuletzt in NNW und in ungefähr 3 Seemeilen Abstand gepeilt. Die Luft war trübe, aber feuersichtig bei bedecktem Himmel. Nachmittags 4 Uhr wurden die Seitenlaternen angezündet, welche hell brannten. Der Steuermann hatte die Wache, aber von 4 Uhr 15 Minuten an befand sich auch der Schiffer, welcher seit Mittags 12 Uhr in seiner Cajüte gewesen war, wieder auf Deck. Abends 5 Uhr 30 Minuten ging die Bark unweit des Großen Mittelgrund über Stag und lag von da an mit ungefähr WNWCurs mit Backbordhalsen. Eine Stunde später ward dieselbe von dem Schraubendampfer „Denham“ aus Newcastle, Schiffer Lambert, an Steuerbordseite, dicht hinter den Fockwanten, angerannt und dermaßen beschädigt, daß sie schnell zu sinken begann und die Besatzung kaum noch Zeit hatte, sich mit ihren eigenen Boote an Bord des „Denham“ abzubergen und so das nackte Leben zu retten.


  2. Ueber die der Collision voraufgehenden und nachfolgenden Vorgänge haben

    1. die zur Besatzung der Bark gehörigen Leute nachstehendermaßen übereinstimmend ausgesagt:
      Abends 6 Uhr 15 Minuten meldete der Matrose Natzke, welcher auf dem Ausguck stand, dem Steuermann, daß ungefähr 5 Strich an Steuerbordseite voraus 2 helle Feuer sichtbar seien. Der Schiffer sah durch den Nachtgucker und erkannte die Toplichter zweier Dampfer. Gleich darauf kamen auch die rothen Seitenlichter derselben in Sicht. Der damalige Abstand von jenen Dampfern war nicht genau zu bestimmen, aber es verflossen bis zu der demnächstigen Collision noch etwa 10 Minuten. Die Bark lag voll beim Winde und behielt ihren Curs unverändert frei. Ungefähr um 6 Uhr 20 Minuten kam die andere Wache an Deck, weil die Mannschaft das Bramsegel festmachen und dann zu Abend essen sollte. Inzwischen war der eine der beiden Dampfer der Bark bereits sehr nahe gekommen, wiewohl vom Schiffskörper nur noch wenig zu sehen war. Der Dampfer befand sich um jene Zeit ungefähr 4 bis 5 Striche an Steuerbordseite voraus, während der zweite Dampfer schon ziemlich recht voraus gesichtet wurde. Schiffer Maass ließ nun die Schiffsglocke läuten, um den erstgenannten Dampfer auf die Bark aufmerksam zu machen. Derselbe hielt aber seinen auf die letztere zu gerichteten Curs immer noch fest. Als er in Rufweite gekommen war, rief man ihm von der Bark aus zu, er solle stoppen und rückwärts gehen.

      Der Abstand beider Schiffe von einander betrug damals nur noch wenige Schiffslängen. Von dem Dampfer, welcher mit voller Kraft zu laufen schien, ward zurückgerufen, man könne nicht mehr stoppen. Auch jetzt noch behielt die Bark ihren Curs auf das genaueste bei, wozu Schiffer Maass durch die Erwägung bewogen sein will, daß er, wenn er hätte vor dem Winde abfallen wollen, in den Dampfer hineingelaufen sein würde und daß er bei einem ohnehin nicht so schnell ausführbaren Ueberstaggehen dem Dampfer den Anblick des grünen Lichtes der Bark und damit die Möglichkeit, deren Standort genau zu erkennen, entzogen hätte. Schon wenige Augenblicke darauf erfolgte der Zusammensſtoß, welcher ein so gewaltiger war, daß sich die Bark trotz des kräftigen Windes ein wenig nach Backbord, also nach der Luvseite, überlegte und mit dem Bug fast nach West gedrängt wurde. Schiffer Maass befahl sofort, die Schaluppe fertig zu machen, und eilte, als der Dampfer schnell wieder von der Bark frei kam, an die Collisionsstelle, um sich von dem Umfang des Schadens zu überzeugen.

      Als er mit vieler Mühe über die Splitter der Regeling und Nagelbank und sonstige Trümmer hinweg dorthin gelangte, fand er an Steuerbordseite nahe den Fockwanten ein Loch von ungefähr im Breite, welches soweit hinunter ging, als er sehen konnte, und hörte deutlich das Wasser dort einströmen. Jetzt befahl er, die Schaluppe zu Wasser zu bringen, und rief dem Dampfer zu, er solle bei ihnen bleiben, weil sie jeden Augenblick sinken könnten. Während die Bark, welche sich inzwischen nach Steuerbordseite übergelegt hatte, vorne mehr und mehr wegsank, mußte dieselbe erst noch einem anderen Schiffe ausweichen, welches an Steuerbordseite in Sicht gekommen war. Dann beorderte Schiffer Maass seine gesammte Mannschaft in das inmittelst zu Wasser gebrachte Boot, während er selbst noch in die Cajüte eilte, um die Schiffspapiere zu retten. Kaum hatte er aber dieselbe betreten, als der Steuermann rief, er solle kommen, da die Bark im Begriffe sei, zu sinken.

      Er riß daher nur noch aus dem offenstehenden Kleiderschranke seinen Ueberzieher an sich, ergriff seine Taschenuhr und sprang dann, nachdem er zuvor noch das Ruder hart Steuerbord gelegt hatte, um das Schiff mit dem Bug in den Wind zu bringen und so dessen Fahrt zu hemmen, zu den Uebrigen in das Boot, mit welchem die Schiffbrüchigen nun auf den etwa ½ Seemeile in OSO von ihnen abliegenden „Denham“ zuhielten. Damals sahen sie die Bark noch ganz deutlich, als sie aber etwa zur Hälfte an den Dampfer heran waren, entschwand dieselbe ihren Blicken. Sie gelangten alsdann glücklich an Bord des „Denham“. Schiffer Maass bat den Führer des letzteren, er möge noch ein wenig in der Richtung der Bark hinhalten lassen, was dieser jedoch mit dem Bemerken ablehnte, daß er, da sein Schiff selbst Schaden genommen habe, so schnell als möglich einen Hafen aufsuchen müsse.

      Der „Denham“ hatte denn auch an Backbordsbug ein ziemlich großes Loch und konnte nicht mehr mit voller Kraft fahren, weshalb er auch erst am Vormittage des folgenden Tages Kopenhagen erreichte, wo die Schiffbrüchigen gelandet wurden. Unterwegs äußerte Schiffer Lambert zu Schiffer Maass, er habe vor der Collision eine Böe gehabt und deshalb das Seitenlicht der Bark zu spät gesehen, eine Behauptung, welche Schiffer Maass indeß als leere Ausflucht bezeichnet hat, weil man auf der Bark, wo man sie doch bei der gegenseitigen Position beider Schiffe zu einander zuerst hätte haben müssen, von einer Böe überall nichts bemerkt und die Lichter des Dampfers ohne Unterbrechung gesichtet habe.


    2. Dagegen heißt es in dem von dem Schiffer, dem Steuermann, dem 1. Maschinisten und 3 Matrosen des „Denham“ am 18. November 1885 zum Protokolle des englischen Consuls in Kopenhagen niedergelegten Proteste wie nachsteht:Am 13. November Nachmittags 4 Uhr habe der auf der Reise von der Tyne nach Libau mit Kohlen befindliche Dampfer, ein Schiff von 560 Register-Tons, Anholt-Feuerschiff in W½S und in einem Abstand von etwa ½ Seemeile passirt. Der Wind habe ziemlich stark aus SW geweht und die Luft sei zuweilen dick von Regen gewesen. Man habe S½O gesteuert. Nachmittags 5 Uhr 30 Minuten, während die Seitenlaternen hell gebrannt hätten, sei vom Ausguckmann, welcher sich der hohen See halber vorne nicht habe halten können, und sich daher zusammen mit dem Schiffer und Steuermann auf der Commandobrücke befunden habe, plötzlich über Backbordbug ein Licht bemerkt worden, welches gleich darauf von allen auf der Brücke Befindlichen als ein grünes erkannt worden sei. Der Schiffer habe sofort „Hart Steuerbord“ commandirt und zugleich die Maschine stoppen lassen, um ein schnelles Ueberbringen des Ruders zu ermöglichen. Als letzteres geschehen, sei die Maschine wieder in Gang gesetzt worden, allein dieselbe habe noch nicht 3 bis 4 Schläge gemacht gehabt, als man erkannt habe, daß eine Collision unvermeidlich sei.

      Denn damals habe man bereits sowohl die Segel wie den Rumpf des fremden Schiffes deutlich erkannt. Man habe daher die Maschine nunmehr mit voller Kraft rückwärts gehen lassen. Aber schon nach etwa einer Minute sei der Zusammenstoß mit dem fremden Schiffe, der Bark „Max Fischer“, erfolgt, welche WNW angelegen habe und nach der Collision nach Backbord abgefallen sei. Auf dem Dampfer habe man die Boote fertig gemacht und sei dann in der Richtung auf die Bark zu vorwärts gegangen, deren Besatzung sich bald darauf mit dem eigenen Boote an Bord des „Denham“ geborgen habe. Der letztere, welcher erheblich an Backbordsbug beschädigt gewesen sei, habe sodann langsam seine Reise fortgesetzt und sei am folgenden Tage Vormittags auf Kopenhagen-Rhede eingetroffen, um dort zu repariren.


  3. Der Dampfer „Denham“ ist in Kopenhagen von einer Sachverständigen-Commission besichtigt. Nach dem dem Seeamte durch Vermittelung des deutschen Consulats daselbst abschriftlich mitgetheilten Besichtigungs-Protokolle waren 4 Stevenplatten an Backbordseite und eine an Steuerbordseite beschädigt, das Kabelgatt voll Wasser, und hatte sich sowohl das Vorderdeck wie ein Theil des Hauptdeckes begeben. Inhalts eines von Schiffer Maass in der Hauptverhandlung überreichten, an ihn gerichteten Briefes des von ihm in London an genommenen Sachwaltes hat sich diesem gegenüber die Rhederei des „Denham“ zum vollen Schadensersatz bereit erklärt.


  4. Das Seeamt hat seiner Beurtheilung des vorliegenden Falles die thatsächlichen Feststellungen, die Aussagen der Besatzung der Bark, welche in allen wesentlichen Punkten durch den Seeprotest des „Denham“ unterstützt werden, grundleglich gemacht. Darnach ist als erwiesen anzusehen, daß die Seitenlaternen des „Max Fischer“ bereits Nachmittags 4 Uhr angezündet wurden und zur Zeit der Collision hell brannten, sowie weiter, daß die Bark ihren Curs unverändert festhielt. Daß die letztere bald nach dem Zusammenstoße gesunken ist, kann bei der Schwere des ihr durch denselben beigebrachten Leckes nicht bezweifelt werden. Nach Artikel 17 der Kaiserlichen Verordnung zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880, welche internationale Geltung hat, muß, wenn ein Dampfschiff und ein Segelschiff in solchen Richtungen fahren, daß für sie Gefahr des Zusammenstoßens entsteht, das Dampfschiff dem Segelschiffe aus dem Wege gehen, während dieses letztere nach Artikel 22 seinen Curs beizubehalten hat und nach Artikel 23 von demselben nur dann abweichen darf, wenn dies zur Abwendung unmittelbarer Gefahr durch den Eintritt besonderer Umstände nothwendig wird.

    Diesen gesetzlichen Vorschriften entspricht das Verhalten der Bark insofern, als sie bis zuletzt bei ihrem Curs geblieben ist, und es erübrigt bezüglich ihrer nur noch die Erörterung der Frage, ob sie nicht nach der Bestimmung im Artikel 23 der citirten Verordnung, um die Collision abzuwenden oder weniger verderblich zu machen, noch im letzten Augenblicke ihren Curs hätte verändern müssen. Diese Frage ist zu verneinen. Denn wäre die Bark vor dem Winde abgefallen, so würde ein Zusammenstoß erst recht unvermeidlich geworden und dann wahrscheinlich Steven auf Steven erfolgt sein, und hätte sie versuchen wollen, über Stag zu gehen, so würde sie dem „Denham“ den Anblick ihres grünen Seitenlichtes und damit ein nothwendiges Mittel zur Orientirung entzogen haben. Hiernach kann nicht bezweifelt werden, daß man auf der Bark durchaus richtig und den gesetzlichen Vorschriften gemäß gehandelt hat.

    Es war daher, wie geschehen, vom Seeamte auszusprechen, daß niemanden von der Besatzung derselben ein Verschulden an dem vorliegenden Unfall treffe. Was dagegen den „Denham“ betrifft, so geht aus dessen Seeprotest ohne Weiteres hervor, daß man an Bord dieses Schiffes das grüne Seitenlicht der Bark zu spät und erst dann gewahrte, als ein Ausweichen nicht mehr möglich war. Hierin war denn auch die eigentliche Ursache der Collision zu erblicken. Aus welchem Grunde man das Seitenlicht der Bark zu spät gewahrte, ob nicht sorgfältiger Ausguck gehalten oder ob wirklich eine Böe über den Dampfer hinweggegangen ist und ihm für längere Zeit die Möglichkeit, das Licht der Bark zu sehen, benommen hat, kann hier dahingestellt bleiben, da es nicht die Aufgabe des Seeamts ist, über eine etwaige Schuld auf Seiten des fremden Schiffes zu entscheiden. Anlangend endlich den Verlust des Schiffsjournals der Bark, so wird derselbe durch die Umstände entschuldigt, und es kann dem Schiffer Maass daraus, daß er nach dem Warnungsruf des Steuermanns die beabsichtigte Rettung jenes wichtigen Dokuments unterließ, kein Vorwurf gemacht werden.


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