Seeunfall der Bark „Hannibal"
Spruch des Seeamts zu Tönning vom 3. April 1882, betreffend den Seeunfall der Bark „Hannibal“ von Rostock.
Schiff, durch schweres Wetter stark beschädigt, wird im Lister-Tief auf den Strand gesetzt, da das Kentern desselben befürchtet wurde.
Der Spruch des Seeamts lautet:
daß das Schiff nach Verlust seiner Masten bei starkem Sturm in eine derartig schiefe Lage gerathen, daß das Kentern desselben befürchtet werden mußte und deshalb, um es zu retten, auf Strand gesetzt worden ist, daß jedoch weder Schiffer noch Steuermann durch Handlungen oder Unterlassungen den Unfall oder dessen Folgen verschuldet, auch nicht Mängel in der Bauart, Beschaffenheit, Ausrüstung, Ladung oder Bemannung des Schiffes den Unfall herbeigeführt haben.
Gründe:
Es ist durch die zu Tinnum auf Sylt abgelegte Verklarung, durch die Ermittelungen des Seeamts und die Verhandlung vor demselben thatsächlich festgestellt, daß Schiffer Havemann, Führer der Bark „Hannibal“, Unterscheidungssignal MCLQ, mit einer Besatzung von 11 Mann am 4. October 1881, von Dieppe mit Ballast nach Burntisland bestimmt, abgegangen ist.
Am 10. October wurde es stürmisch, so daß die leichten Segel festgemacht werden mußten. Bis zu diesem Tage war nichts Besonderes passirt; vom 11. bis 13. fortwährend Sturm und Wetterleuchten. Am 13. zerriß das Voruntermarssegel und wurde ein neues untergeschlagen. Am 14. wird der Wind orkanartig, Besahn und Stagsegel zerreißen und werden durch neue ersetzt. Wind NW, Leeschooten der Untermarssegel werden festgemacht.
Barometer fällt fortwährend, nur beide halbe Untermarssegel und Vorstengestagsegel stehen. 9 Uhr Orkan aus Nord, hohe wilde See, das Schiff holt schwer über, vermuthen am Rande der Doggerbank zu sein, das Großsegel zerreißt, Orkan nimmt zu, Barometer fallend, können nicht vor der See laufend den Canal einsegeln, und wären beigedreht an die holländische Küste getrieben, weshalb beschlossen wird, die Hamburger Bucht einzulaufen, um eventuell die Elbe zu erreichen. Am 15. Morgens 7 Uhr ist der Orkan am stärksten, Hagelschauer und Seegang werden heftiger, das Vormarssegel wird zum Theil von der Raa gerissen, jedoch möglichst gut wieder festgemacht, das Schiff lenste gut nur mit Vorstengestagsegel.
Um 8 Uhr waren zwei Mann am Ruder, das Schiff luvt auf und kommt dwars See zu liegen. Als die Mannschaft beschäftigt ist die Vorraaen anzubrassen, erhob sich eine äußerst hohe See, die sich am Schiff brach und dasselbe auf die Seite warf. Die Backbordseite der Verschanzung war mitschiffs weggeschlagen, die Reserve Spiere mitten durchgebrochen, beide große Boote in Lee gegen die Verschanzung geworfen, ein kleineres auf der Cajüte zertrümmert, so daß alle Boote weg waren, die Thüren der Cajüte und sonstige Gegenstände waren zertrümmert, der Ballast übergegangen. Das Schiff lag mit der Regeling unter Wasser und wurde von der nächsten Sturzsee der Untergang erwartet. Der Schiffer läßt den Groß- und Besahnmast kappen, es gelingt den Großmast mit allem, was sich daran befindet, über Bord zu schaffen, worauf das Schiff sich etwas aufrichtet; nach einigem Kappen am Besahnmast ging auch dieser über Bord.
Der Großmast blieb unter dem Schiff an den Boden stoßend, weshalb das unklare Tauwerk wie die Vorbrassen gekappt wurden. Alles nach Lee Geschlagene wird über Bord geworfen, das Schiff richtet sich mehr auf, kommt vor den Wind, es wird gereffte Fockschoot beigesetzt und das Schiff vor der See laufend gehalten. Der Besahnmast schleppte noch an einem Want hinten am Schiff und brachen sich hieran die Seen. Wegen des Stoßens der Masten wird befürchtet, daß das Schiff leck sei, weil das Schiff zu viel über lag, kann nicht gepumpt werden. Im Raum ist kein Wasser zu sehen, dagegen war der Ballast übergegangen, Gaweling und Stützen zerbrochen und die obere Bekleidung mit den darauf geschossenen Leinen nach Lee geworfen, das Schiff treibt mit der See ostwärts und wird versucht die Küste zu erreichen, die Lister Tiefe oder den Strand.
Das Schiff holt stark über und befürchtet die Mannschaft stets das Kentern desselben, in dessen Raum sich immer mehr Wasser zeigt. Am 16. Morgens kam das Sylter Feuer in Sicht; zuerst vom Rothen Riff, nachher das Feuer von List, dann die dortige Ansegelungstonne, und gelang es das Schiff hinter List zu Anker zu bringen. Der Schiffer ging, um Hülfe zu holen, ans Land und mußte des Windes wegen und weil er angegriffen war, die Nacht am Lande bleiben.
Am 17. Morgens saß das Schiff ohne Mast auf dem Strand und zeigte sich, als der Schiffer an Bord kam, daß nach der Erklärung der Leute das Schiff sich soweit über gelegt habe, daß der Schanddeckel unter Wasser gewesen und allgemein befürchtet sei, daß das Schiff kentern und sinken würde, weshalb sie, um Schiff und Leben zu retten, nachdem vergebens Nothsignale gegeben und da kein Boot an Bord gewesen, beschlossen hätten, den Mast zu kappen und sich an Bord des in der Nähe befindlichen Schiffes „Catharina“ zu begeben, nachher auch auf Anrathen des holländischen Schiffers de Wall die Ketten zu schlippen und das Schiff auf den Strand treiben zu lassen. Das Schiff war auf den Strand getrieben, der Schiffer barg mit Hülfsmannschaft die außenbord hängende Takelage, ließ Anker und Ketten an Bord schaffen, den Ballast löschen und das Schiff wieder flott machen.
Das Schiff, welches noch in Dieppe nachgesehen, war im guten seetüchtigen Zustande, ⁵⁄₆ 1. 1. auf 3 Jahre classificirt und zu 30.000 M. versichert. Der Unfall ist zweifelsohne dadurch herbeigeführt, daß der orkanartige Wind das Schiff auf die Seite geworfen und zwei Masten gekappt werden mußten und das Schiff durch das Stoßen der Masten und das Uebergehen des Ballastes, nachdem es leck war, in einen solchen Zustand gerathen war, daß die Befürchtung, dasselbe werde, da der Schanddeckel schon unter Wasser war, sehr rasch kentern, gerechtfertigt erschien.
Den Unfall hat weder die Mannschaft noch der Zustand des Schiffes verschuldet, derselbe ist vielmehr nur durch den orkanartigen Wind, dem das Schiff nicht hat widerstehen können, herbeigeführt. Auch der Umstand, daß der Schiffer am 16. Abends das Schiff verließ und die Nacht am Lande blieb, steht nicht nur mit dem Stranden des Schiffes nicht in Verbindung, sondern kann auch dem Schiffer nicht zum Vorwurf gemacht werden, da er sein Schiff bestmöglichst vor Anker gelegt und zur weiteren Sicherung desselben nichts beitragen, wohl aber am Lande Hülfe suchen und sich mit seinem Assekuradeur in Verbindung setzen konnte.