Georg Becker | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark "Georg Becker"

  1. Der am Abend des 31. Juli 1883 im Kattegat zwischen Laessoe und Niedingen statt gehabte Zusammenstoß der Bark "Georg Becker" mit der Kaiserlich russischen Schraubenkorvette, "Bajan" ist dadurch verursacht, daß der "Bajan" nicht rechtzeitig die erforderlichen Rudermanöver ausführen ließ, um der Bark auszuweichen.


  2. Die am Morgen des 30. November 1883 vor dem Hafen von Warnemünde erfolgte Strandung der Bark, welche den gänzlichen Verlust der letzteren zur Folge hatte, ist auf die Enge des Fahrwassers, den unerwarteten Eintritt einer nach Ost versetzenden Strömung und stürmische Witterung zurückzuführen.


  3. Ein Verschulden an den in Rede stehenden Unfällen wird weder dem Schiffer noch Jemandem der Mannschaft beigemessen.


  1. Die in Rostock beheimathete, seit 1874 vom Schiffer Peter Staben aus Dierhagen geführte Bark "Georg Becker“, Unterscheidungssignal MCRW, ist im Jahre 1883 von zwei Seeunfällen betroffen worden, indem sie am 31. Juli Abends im Kattegat mit einem russischen Kriegsschiffe, der Schraubenkorvette "Bajan" in Kollision gerathen und erheblich beschädigt und sodann am 30. November Morgens bei der Einsegelung in den Hafen von Warnemünde gestrandet und gänzlich verloren gegangen ist. Bezüglich dieser beiden Unfälle hat die stattgehabte seeamtliche Untersuchung zu nachstehendem Ergebniß geführt:



  • Zur Kollision.


    1. Am 31. Juli 1883 befand sich die Bark auf der Reise von Grimsby nach Gefle mit Kohlen beladen im Kattegat. Abends 11 Uhr wurde Niedingen Feuer in NO und einem Abstande von ungefähr 10 Seemeilen gepeilt. Der Wind wehte mit mäßiger Briese aus ONO, die Luft war klar, der Curs des Schiffes SSO per Compaß, die Seitenlichter brannten hell und die Fahrt betrug 3 Seemeilen in der Stunde. Ungefähr 30 Minuten später fand der Zusammenstoß mit dem "Bajan" statt. Ueber die Umstände, unter denen derselbe erfolgte, weichen die Aussagen der beiderseitigen Besatzungen in wesentlichen Punkten voneinander ab.


      • Nach dem Schiffsjournal des "Georg Becker" und den damit übereinstimmenden eidlichen Angaben des Schiffers Staben und seiner Mannschaft zum Verklarungsprotokolle d. d. Gefle 13. August 1883 sowie nach der Aussage des Schiffers und des Schiffszimmermanns Garloff in heutiger Hauptverhandlung bemerkte der letztere, welcher auf dem Ausguck stand, bald nach 11 Uhr Abends voraus das weiße Toplicht eines Dampfers. Er ließ dies dem auf dem Quarterdeck befindlichen Schiffer durch den Jungen melden. Als letzterer zu ihm zurückgekommen war, gewahrte er auch das rothe Licht des fremden Schiffes und zwar ungefähr 2 Strich an Steuerbordseite. Dies meldete er persönlich dem Schiffer, welcher ebenso wie der am Ruder stehende Matrose Wilken inzwischen gleichfalls das rothe Licht jenes Schiffes 2 Strich an Steuerbordseite, gleich darauf aber auch das Toplicht eines anderen, weiter westlich stehenden Dampfers erblickt hatte. Schiffer Staben ließ nun das Ruder zunächst ein wenig, und als der zuerst gesichtete Dampfer seinen Curs festhielt, noch weiter nach Backbord legen, so daß die Bark ungefähr 2 Strich nach Steuerbord abfiel und der eben erwähnte Dampfer, welcher noch immer sein rothes Licht zeigte, an deren Backbordseite zu stehen kam.

        Nach etwa 2 bis 5 Minuten kam plötzlich das grüne Licht dieses Dampfers in Sicht. Schiffer Staben ließ jetzt das Ruder der Bark hart nach Backbord überlegen, so daß die letztere bis WSW abfiel; allein gleich darauf lief der Dampfer, welcher nachher als der "Bajan" erkannt wurde, an Backbordseite, nahe dem Großwant, fast von hinten in dieselbe ein. Die Besatzung der Bark, welche bei der Stärke des Anpralls deren schnelles Sinken befürchtete, enterte auf die Korvette über, kehrte aber, als sich diese von der Bark freigemacht hatte, in Begleitung einiger Offiziere des "Bajan" an Bord ihres Schiffes zurück, auf welchem, wie eine vorläufige Untersuchung ergab, die Regeling, mehrere Stützen und das Großstängestag gebrochen, diverse Segel zerrissen waren, und sich das Deck begeben hatte, welches aber kein Wasser machte.

        Die vom Schiffer Staben verlangte Assistenz lehnte der Kommandant der Korvette ab, worauf die letztere ihre Reise fortsetzte. Nachdem die Bark ihre Schäden nothdürftig reparirt hatte, setzte auch sie ihre Reise fort und hat sie Gefle am 10. August 1883 glücklich erreicht. Ueber den Zeitpunkt, wann auf dem „Georg Becker“ zuerst das Ruder nach Backbord gelegt worden ist, stimmten die Aussagen des Schiffers Staben und des Zimmermanns Garloff in der Hauptverhandlung nicht völlig überein. Schiffer Staben will erst Backbordruder kommandirt haben, als sich der Dampfer schon ½ Strich an Steuerbordseite der Bark befand, er bereits dessen Masten erkennen konnte und überzeugt war, daß es nicht mehr freigehen könne. Zimmermann Garloff meint dagegen, daß das Ruderlegen sofort, nachdem er seinerseits dem Schiffer das Insichtkommen des rothen Lichtes gemeldet habe, geschehen sei, giebt aber zu, daß er die Meldung nicht unmittelbar nach dem Erblicken jenes Lichtes gemacht haben möge.

        Der nur im Vorverfahren vernommene Matrose Wilken hat sich nicht specill über den in Rede stehenden Punkt ausgesprochen. Seine Aussage geht dahin:

        Als der Zimmermann gemeldet habe, daß in Lee ein rothes Feuer sei, habe er letzteres selbst 2 Strich in Lee gesehen. Auf Anordnung des Schiffers habe er nun das Ruder etwas Backbord gelegt und als das fremde Schiff seinen Curs fortgesetzt habe, noch mehr nach dieser Seite hin.


      • Nach einem dem Seeamt durch Vermittelung der deutschen Botschaft in St. Petersburg zugänglich gemachten Bericht des obersten Marine-Militärgerichts daselbst über das Verhör der Offiziere und Matrosen des "Bajan" befand sich dieses Kriegsschiff am 31. Juli 1883 Abends gegen 11 Uhr auf der Reise von Kopenhagen nach Havre im Kattegat unweit der schwimmenden Feuerbake Laessoe. Die Korvette verfolgte NWCurs und lief = 7 ½ Knoten. Bald nach 11 Uhr sah man von Bord derselben die grünen Lichter mehrerer Handelsschiffe, welche von Backbord nach Steuerbord kreuzten, weshalb der Kommandant, Kapitänlieutenant Grünwald, das Ruder nach Steuerbord legen ließ, damit die Schiffe an Steuerbordseite vorübersegeln könnten. So passirten die ersten 4 bis 5 Schiffe an Steuerbordseite; als aber das letzte Schiff quer über den Fockwanten der Korvette vorbeiging, sahen der wachthabende Offizier, Lieutenant Charitonow, und der an Bord befindliche Lootse (der englische Küstenlootse Sweeny, in Havre wohnhaft) von der Kommandobrücke aus, daß sich das grüne Licht des Seglers plötzlich in ein rothes verwandle. In demselben Augenblick rief auch der auf der Back stehende Lieutenant Podaschkin, daß vor dem Bug der Korvette ein rothes Licht sei.

        Da das fremde Schiff schon zu nahe war, um noch das Ruder nach Backbord legen zu können, befahl der Kommandant dasselbe Steuerbord liegen zu lassen, und kommandirte unmittelbar darauf „Stopp" und „Rückwärts". Dies Kommando ward auch sofort ausgeführt, aber die Korvette war noch nicht zum Rückwärtsgehen gekommen, als schon die Kollision erfolgte, wobei das Bugspriet des "Bajan" in die Fock des Seglers fuhr, dessen Besatzung übersprang. Der Kommandant ließ die Bark untersuchen und da sich die Beschädigungen derselben lediglich auf die in der Länge von ungefähr 8 Fuß zwischen Groß- und Besahnmast zerbrochene Schanzkleidung und auf einige zerissene Takelage beschränkte, das Wasser im Raume aber nur = 8 ½ Zoll betrug, die Besatzung zurückbringen, es dieser freistellend, ihre Reise fortzusetzen.

        Hätte der Führer der Bark deren Curs nicht nach Steuerbord verändert, so würde nach Ansicht der Offiziere des "Bajan" die Kollision vermieden worden sein. Quartiermann Alexey Saigon hat vor der Untersuchungskommission des Marine-Militärgerichts bezeugt, ungefähr 11 Uhr 30 Minuten Abends sei befohlen, das Ruder nach Backbord zu legen, unmittelbar darauf aber wieder Steuerbordruder kommandirt, und kurze Zeit nachher sei der Zusammenstoß erfolgt; Kapitänlieutenant Grünwald hat das als möglich zugegeben, aber versichert, daß die Korvette jedenfalls nicht dazu gekommen sei, nach Steuerbord abzudrehen, und Lieutenant Charitonow hat ausgesagt, der Lootse habe, als plötzlich das rothe Licht der Bark ungefähr 1 bis 2 ½ Minuten vor der Kollision in Sicht gekommen sei, gerathen, das Ruder nach Backbord zu legen, der Kommandant aber mit lauter Stimme befohlen, dasselbe Steuerbord zu lassen, einen und diesen Befehl habe der Mann am Ruder hören müssen, weshalb er das letztere auch nicht nach Backbord gelegt haben könne. Die Untersuchungskommission des Marine-Militärgerichts ist zu folgendem Schlusse gelangt:

        Nach internationalen Grundsätzen müsse ein Dampfschiff einem Segelschiffe ausweichen, dieses aber seinen Curs festhalten, Darnach habe der Kommandant des "Bajan" gehandelt, während das Segelschiff mit seinen Manövern jene internationalen Vorschriften verletzt und es so dem, "Bajan" unmöglich gemacht habe, etwas anderes zu thun als Steuerbordruder beizubehalten, um den nun unvermeidlichen Zusammenstoß thunlichst abzuschwächen. Der Kommandant des "Bajan" sei vollständig im Recht gewesen, und die Kollision allein auf die falschen Manöver der Bark zurückzuführen. Mit dieser Ansicht der Untersuchungskommission hat sich der Chef des Marineministeriums zu St. Petersburg einverstanden erklärt.


      • Der englische Küstenlootse Sweeny zu Havre ist auf diesseitige Requisition von dem dortigen Untersuchungsrichter eidlich vernommen und hat ausgesagt:

        Er sei zur Zeit der Kollision auf der Kommandobrücke des "Bajan" gewesen und habe von dort aus zuerst das grüne Seitenlicht der Bark gesehen. Damals hätten beide Schiffe ungefähr 400 bis 500 Meter von einander gestanden und sei von der Bark, soweit er das habe erkennen können, OSO gesteuert worden. Etwa 5 bis 6 Minuten später sei die Kollision erfolgt, wobei die Bark mitschiffs an Backbordseite zwischen Groß- und Besahnmast getroffen worden sei. Unmittelbar vorher habe die Bark gerade nach Steuerbord über gegiert, so daß er das am Hinterschiff angebrachte rothe Licht derselben habe sehen können. Durch dies Gieren nach Steuerbord sei seiner Meinung nach der Zusammenstoß verursacht worden. Vorher hätten beide Schiffe gegenseitig ihre grünen Lichter gesehen; hätten dieselben ihren damaligen Curs festgehalten, so würde alles klar gegangen sein.

        Um die Kollision, wenn möglich, noch abzuwenden, habe er die Maschine stoppen und das Ruder Backbord legen lassen. Hätte er das nicht gethan, so würde die Bark unzweifelhaft in den Grund gebohrt worden sein. Die Bark habe richtig gesteuert, um ihr rothes Licht zu zeigen, und sei darin in ihrem Recht gewesen; aber beide Schiffe hätten einander bereits zu nahe gestanden, als daß er das Manöver der Bark hätte nachmachen können. Denn hätte er das Ruder des "Bajan" nach Steuerbord gelegt, so würde dieser der Bark 2 bis 3 Minuten früher die Breitseite eingerannt haben. Er habe deshalb das Ruder nach Backbord gelegt, wodurch der Zusammenstoß gemildert worden sei, und erst nach dem letzteren , als der Dampfer bereits rückwärts gegangen, sei dasselbe nach Steuerbord gelegt worden.


    2. Nach den Angaben des Lootsen Sweeny hat der Untersuchungsrichter zu Havre das nachstehende Diagramm angefertigt.

      diagramm

      • No. 1, Der "Bajan" bemerkt das grüne Licht des "Georg Becker";

      • No. 2, der "Georg Becker" in dem Augenblick, wo er das grüne Licht des „Bajan" bemerken mußte;

      • No. 3, der "Bajan" mit dem Ruder Backbord kollidirt mit dem „Georg Becker";

      • No. 4, der "Georg Becker“, wie er eingerannt, zeigt sein rothes Licht;

      • No. 5, der ,"Bajan" dampft rückwärts mit Ruder nach Steuerbord, um sich los zu machen;

      • No. 6 und 7, Punkt, wo nach Angabe des Lootsen die Kollision stattgefunden haben würde, wenn der "Bajan" das Ruder nach Steuerbord gelegt hätte.



      Aus dem vorstehenden Diagramm und den Erklärungen zu demselben ergiebt sich unzweifelhaft, daß der Lootse Sweeny, wenn er von Steuerbord- und Backbordruder spricht, nicht die Ruderpinne, sondern das Ruder selbst im Auge gehabt hat.


    3. Bei der von dem deutschen Consul zu Gefle veranlaßten Besichtigung der Bark durch eine Sachverständigen-Commission stellte sich heraus, daß dieselbe innen wie außen bedeutende Beschädigungen durch die Kollision erlitten hatte, welche eine umfassende Reparatur erforderten, deren Kosten sich auf 8.460 Kronen belaufen.


  • Zur Strandung.


  1. Am 30. September 1883 ging die Bark nach beendeter Reparatur von Gefle aus mit einer Ladung Planken nach Newcastle in See und am 17. November desselben Jahres verließ sie letzteren Hafen mit einer nach Rostock bestimmten Ladung von 440 Tons Schmiedekohlen, mit welcher das Schiff hinten 15 ¾ und vorne 15 Fuß englisch tief lag. Am 30. November Morgens näherte sie sich dem Hafen von Warnemünde. Der dortige Lootsenkommandeur sandte ihr ein Lootsenboot entgegen, welches aber mit der Anfrage zurückkam, ob das Schiff auch ein laufen könne, da dasselbe 15 ¾ Fuß englisch tief gehe. Der Lootsen Kommandeur erwiderte, das sei zwar tief, aber mit 15 ½ Fuß werde es gehen.

    Im Hafeneingang waren nämlich an jenem Morgen 16 Fuß 7 Zoll Wasser gepeilt worden. Mit dem Lootsenboot sandte der Lootsenkommandeur gleichzeitig den mit dem Fahrwasser ganz genau bekannten Lootsenältermann Micheelſen an Bord der Bark. Dort ward die Ladung getrimmt, so daß der Tiefgang des Schiffes anscheinend durchweg 15 ½ Fuß betrug. Dann nahmen die Dampfer "Phönix" und "Neptun" die Bark ins Schlepptau und (VII,8) schleppten sie von NW her auf den Hafen zu. Der Wind war damals WSW flau, eine Küstenströmung nicht bemerkbar. Als die Bark, welche nur Klüver, Besahn und Stagsegel stehen und bis dahin SOzS gesteuert hatte, gerade mit Südcurs in die Hafenmündung einbiegen wollte, frischte der Wind plötzlich aus WNW auf, und gleichzeitig begann eine Küstenströmung von West nach Ost zu laufen, welche die Bark auf ein erst unlängst vor der Ostmoole entstandenes Riff drängte, auf welchem sie festkam. Zwar gelang es, dieselbe vom Spill aus mittelst einer Trosse wieder abzuziehen, worauf die Bugsirdampfer sie eine kleine Strecke weiter schleppten, aber die Küstenströmung drängte sie von neuem auf das Riff, auf welchem sie nun zum zweiten Male und zwar mit dem Hintertheile festkam und bei der zunehmenden See heftig zu stoßen begann.

    Bald zeigte sich denn auch ein Leck und trotz angestrengten Pumpens war das Schiff bereits nach einer Viertelstunde voll Wasser. Die wiederholten Versuche, dasselbe abzubringen, erwiesen sich vergeblich, weshalb der Lootsen-Kommandeur einen Anker mit 50 Faden Kette nach Osten ausbringen ließ, damit die sich stark auf die Seite neigende Bark nicht in der Fahrrinne sinke. In der Nacht vom 4./5. Dezember verschwand das Wrack bei einem schweren NNO Sturm gänzlich und nur einzelne Trümmer wurden demnächst angeschwemmt und geborgen.


  2. Die Bark "Georg Becker" ist im Jahre 1862 in Rostock aus Eichenholz erbaut und zu 840,8 cbm = 296,80 britischen Register Tons Netto-Raumgehalt vermessen worden. Im Jahre 1878 ist sie gründlich nachgesehen und sodann bei Veritas zu 5/6 I. 1. auf vier Jahre klassifizirt, 1881 aber nach Abnahme des Kupfers sowohl oberhalb wie unterhalb der Wasserlinie kaltfaltert. Sie befand sich zur Zeit der in Rede stehenden beiden Unfälle in einem durchaus seetüchtigen Zustande, obwohl die Klasse bei Veritas nach deren Ablauf im Jahre 1882 nicht wieder erneuert worden war.


  3. Was nun –


    • zunächst die Kollision anlangt, so hat das Seeamt die Aussage des Schiffers Staben seiner Beurtheilung grundleglichgemacht. Dieselbe ist bestimmt und in sich wahrscheinlich und steht mit den Aufzeichnungen zum Schiffsjournal des "Georg Becker" wie mit der eidlichen Verklarung der gesammten Besatzung dieses Schiffes im Einklang. Der Zimmermann Garloff und der Matrose Wilken haben sich zwar, der letztere im Vorverfahren, der erstere in der Hauptverhandlung über die Zeit, um welche auf dem "Georg Becker“ Backbordruder kommandirt wurde, abweichend von den desfalsigen Angaben des Schiffers Staben ausgesprochen, allein das Seeamt hat nichtsdestoweniger den letzteren vollen Glauben beigemessen. Denn die genannten beiden Schiffsleute haben bei der Verklarung in völliger Uebereinstimmung mit dem Schiffer deponirt, zwischen ihrer damaligen Vernehmung und ihrer spätern Abhörung vor dem Seeamt liegt ein Zeitraum von ungefähr 4 beziehungsweise 20 Monaten, in welchem sich die Erinnerung nothwendig abgeschwächt haben muß, und Garloff hat in der Hauptverhandlung durchaus schwankend ausgesagt. Demnach ist als thatsächlich festgestellt angesehen:


      1. daß man von der Bark aus zuerst das weiße Toplicht der "Bajan" und bald darauf dessen rothes Seitenlicht, und zwar letzteres 2 Strich an Steuerbordseite voraus erblickte;


      2. daß die Bark damals SSOCurs verfolgte, der "Bajan" aber um jene Zeit ungefähr NzO und jedenfalls ein wenig über Nord hinaus nach Ost zu steuerte;


      3. daß beide Schiffe diese Curse ohne wesentliche Veränderung festhielten, bis sie einander so nahe standen, daß man von der Bark aus die Masten des "Bajan" erkennen konnte und dieser nur noch ½ Strich an Steuerbordseite derselben stand;


      4. daß jetzt Schiffer Staben überzeugt, daß ein Zusammenstoß unvermeidlich sei, das Ruder der Bark Backbord legen ließ, worauf die letztere bis etwa WSW nach Steuerbord abfiel;


      5. daß gleich darauf das Ruder auf dem "Bajan“ nach Steuerbord gelegt wurde und so liegen blieb, bis die Kollision erfolgte.


      Zu 1 ist von der gesammten Besatzung der Bart gleichmäßig und constant bezeugt worden, daß man zuerst das rothe Seitenlicht des Dampfers erblickt und andauernd gesehen habe, bis kurz vor der Kollision plötzlich dessen grünes Licht sichtbar geworden, ebenso daß das gesichtete rothe Licht dasjenige des "Bajan“ gewesen sei, Schiffer Staben hat zwar damals noch einen anderen Dampfer an Steuerbordseite voraus bemerkt, aber dieser hat, wie er versichert, weiter westlich gestanden und für die Annahme, daß das gesichtete rothe Licht dasjenige dieses Dampfers und nicht dasjenige des "Bajan" gewesen wäre, hat die Untersuchung keinerlei Anhalt geboten.

      Zu 2. Der "Bajan" soll nach Aussage der Besatzung desselben, als er die Bark gewahrte, NWCurs verfolgt haben. Diese Aussage kann nicht richtig sein. Denn dann hätte man von der Bark aus nicht sein rothes Seitenlicht sehen können, vielmehr sein grünes sehen müssen. Daraus aber, daß man von der unbestritten südsüdöstlich steuernden Bark aus an Steuerbordseite voraus das rothe Licht des "Bajan" sah, folgt mit Nothwendigkeit, daß dieser damals einen mehr oder weniger östlichen Curs gehalten hat, weil erst bei NzOCurs sein rothes Licht von der Bark aus nach deren Position erblickt werden konnte.

      Zu 3. Diese Feststellung entspricht bezüglich des "Bajan" den Angaben der Besatzung der Bark, welche eine Cursveränderung des ersteren Schiffes erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß wahrgenommen hat. Wenn nun nach der Aussage der Offiziere des "Bajan" auf letzterem das Ruder schon früher nach Steuerbord gelegt sein soll, so kann dies doch nur in ganz geringem Maße der Fall gewesen sein, da man sonst auf der Bark schon eher das grüne Seitenlicht des Dampfers hätte sehen müssen.

      Zu 4. Daß Schiffer Staben das Ruder seines Schiffes erst dann nach Backbord legen ließ, als ihm der Dampfer bereits so nahe war, daß er dessen Masten erkennen konnte, ist auf Grund der bezüglichen Aussage des P. Staben umsomehr für erwiesen erachtet, als sowohl die Offiziere des "Bajan" wie der Küstenlootse Sweeny in völliger Uebereinstimmung hiermit bekundet haben, daß das rothe Licht des Seglers plötzlich erschienen sei, als sich beide Schiffe bereits einander ganz nahe gestanden hätten.

      Zu 5. Endlich beruht die Feststellung auf der von der Besatzung der Bark bezeugten Thatsache, daß unmittelbar vor der Kollision das grüne Seitenlicht des "Bajan" sichtbar geworden ist, eine Thatsache, welche sich nur daraus erklären läßt, daß man auf dem "Bajan" das Ruder kurz vor dem Zusammenstoß Steuerbord gelegt hatte. Wie weit beide Schiffe von einander abstanden, als man von der Bark aus zuerst das rothe Licht des "Bajan“ wahrnahm, hat nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Da aber in jener Nacht die Luft klar war, und die Seitenlichter der Schiffe auf mindestens 2 Seemeilen sichtbar sein sollen, so nimmt das Seeamt an, daß die Entfernung damals ungefähr 2 Seemeilen betragen hat.

      Daß man aber an Bord des "Bajan" um dieselbe Zeit das grüne Licht der Bark bemerkt hat, ist nicht zu bezweifeln. Nach internationalem Straßenrecht auf See muß, wenn ein Dampfschiff und ein Segelschiff in solchen Richtungen fahren, daß für sie Gefahr des Zusammenstoßens entsteht, das Dampfschiff dem Segelschiffe aus dem Wege gehen, während das letztere seinen Curs beizubehalten hat; Vorschriften, welche für deutsche Schiffe in den Artikeln 17 und 22 der Kaiserlichen Verordnung zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880 ihren besonderen gesetzlichen Ausdruck gefunden haben. Vorliegend war also der "Bajan" verpflichtet, dem "Georg Becker" aus dem Wege zu gehen, und hatte dieser seinen Curs festzuhalten. Der "Bajan" konnte bei der anfänglichen Entfernung beider Schiffe von einander, welche ungefähr 2 Seemeilen betrug, nach Ansicht des Seeamts sowohl mit Badbordruder wie mit Steuerbordruder ohne Gefahr einer Kollision die Bark passiren, wenn er sofort und entschieden, das Ruder nach Backbord oder nach Steuerbord überlegte und so der Bark feinen Zweifel über die von ihm beabsichtigten Manöver ließ. Das that er aber nicht, sondern er näherte sich, wie oben festgestellt ist, der Bark mit wesentlich unverändertem Curse und veranlaßte es hierdurch, daß man auf letzterer, den Zusammenstoß für unvermeidlich haltend, und in der Annahme, daß der "Bajan", welcher immer noch fein rothes Licht zeigte, auf Backbordseite passiren wollte, das Ruder nach Backbord legte.

      Diese Maßregel hat der Küstenlootse Sweeny seinerseits als eine richtige bezeichnet, weil es indicirt gewesen sei, daß auch die Bark ihr rothes Licht zeigte. Aber diese Maßregel, welche nur geeignet war, das Manöver des "Bajan", falls derselbe, wie man auf der Bark glauben mußte, die letztere an deren Backbordseite passiren wollte, zu unterstützen, vermochte nicht mehr die Kollision abzuwenden. Denn beide Schiffe standen damals bereits einander zu nahe, als daß der „Bajan" die entsprechenden Rudermanöver noch mit Erfolg hätte ausführen können. Das Seeamt nimmt an, daß er, die Unmöglichkeit erkennend, mit Backbordruder hinter der mehr und mehr nach Westen abfallenden Bark vorüber zu kommen, schließlich versuchte, mit Steuerbordruder vor deren Bug zu passiren, und daß auch hierfür die zwischen beiden Schiffen noch vorhandene Distanz nicht mehr ausreichte. Schiffer Staben verstieß gegen die Vorschrift des Artikels 22 der allegirten Kaiserlichen Verordnung vom 7. Januar 1880, indem er feinen Curs nicht festhielt, sondern nach Steuerbord veränderte.

      Daß er hierdurch zum Eintritt des Unfalls beigetragen habe, nimmt das Seeamt, wie bereits oben erwähnt worden, nicht an, da der Zusammenstoß, auch wenn die Bark ihren ursprünglichen Curs festgehalten hätte, wahrscheinlich doch erfolgt sein würde. Aber auch, wenn das Gegentheil angenommen werden müßte, so würde dem Schiffer dennoch ein Vorwurf nicht zu machen sein, da die Gefahr des Zusammenstoßens, als er die Cursveränderung vornahm, bereits eine unmittelbare war, welche er durch das von ihm ausgeführte Manöver mindestens abzuschwächen hoffen konnte. Er wird daher durch Artikel 23 der vorcitirten Kaiserlichen Verordnung vollkommen gedeckt. Nach Vorstehendem hat das Seeamt die Ursache des Zusammen Stoßes darin erblicken müssen, daß man auf dem "Bajan" die erforderlichen Rudermanöver nicht rechtzeitig ausführte, und hat dasselbe ein Verschulden an dem Unfalle weder dem Schiffer Staben, noch jemandem von der Mannschaft der Bark zur Last legen können.

    • Die Strandung der Bark am 30. November 1883 war nach den Feststellungen in ratio I B lediglich auf elementare Ereignisse, nämlich auf die Enge des Fahrwassers, den unerwarteten Eintritt einer nach Osten setzenden Meeresströmung und stürmische Witterung zurückzuführen. Das Fahrwasser ist am Eingang des Warnemünder Hafens sehr schmal, indem es durch 2 Sandbänke, welche sich vor den Köpfen der Ostmoole und der Westmoole gebildet haben, eingeengt wird. In die so entstandene schmale Fahrrinne bog die Bark in vollkommen richtiger Weise ein, als der infolge des nach WNW umgesprungenen und stürmisch gewordenen Windes plötzlich auftretende, nach Osten setzende Küstenstrom sie in östlicher Richtung wegdrängte und auf die Bank vor dem Kopfe der Ostmoole schob, wo sie festkam. Als sie dort wieder abgezogen war, erfaßte jene Küstenströmung sie von neuem, sie kam zum zweiten Male fest und konnte jetzt nicht wieder abgebracht werden, weil sie bei dem inzwischen eingetretenen hohen Seegange heftig stieß, leck wurde und sich schnell mit Wasser füllte. Da Warnemünder Lootsen an Bord waren und diese Zwangslootsen sind, so war Schiffer Staben für die Art und Weise der Einsegelung nicht verantwortlich, und es kann sich nur noch fragen, ob er bei dem Tiefgang seines Schiffes überall eine solche versuchen durfte, ohne zuvor geleichtet zu haben. Nach Ansicht des Seeamts trifft ihn indeß in dieser Beziehung kein Vorwurf, da der Lootsencommandeur die Einsegelung ausdrücklich gestattet hatte und in jener Jahreszeit das Ankern auf der Rhede dem Schiffe leicht gefährlich werden konnte. Daß die Lootsen es bei der Einbringung an der nöthigen Vorsicht hätten fehlen lassen, dafür hat die Untersuchung ebensowenig etwas ergeben wie angenommen ist, daß die Einsegelung nach dem Tiefgange des Schiffes und dem Wasserstande im Fahrwasser nicht zulässig gewesen wäre. Denn da die Tiefe des Fahrwassers den Tiefgang des Schiffes um ungefähr einen Fuß überstieg, bei Beginn der Einsegelung der Wind noch flau und noch keine Küstenströmung bemerklich geworden war, so durfte der Cootsencommandeur mit Grund hoffen, daß die Einbringung des Schiffes ohne jede Gefahr für dasselbe werde bewerkstelligt werden.


    Die Entscheidung des Ober-Seeamts lautet:

    Auf die Beschwerde des Reichskommissars ist nach mündlicher Verhandlung der Sache entschieden: daß die gegen den Spruch des Großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Seeamts vom 17. April 1885 von dem Reichscommissar eingelegte Beschwerde als rechtlich unwirksam zu betrachten und deswegen zurückzuweisen und die baaren Auslagen des Verfahrens außer Ansatz zu lassen.Gründe. Der Reichscommissar hat, laut des Protokolls über die Hauptverhandlung erster Instanz seine Ausführungen über die Ursachen des vorliegenden Seeunfalls der von dem Schiffer Staben geführten Bark "Georg Becker“ mit der Erklärung geschlossen: „es sei an sich von der Stellung eines Antrages abzusehen; jedoch müßte für den Fall, daß das Seeamt befinden sollte, daß den Schiffer ein Vorwurf treffe und daß die Kollision eine Folge der unbefugt ausgeübten Cursveränderung gewesen sei, der Antrag auf Patententziehung gestellt werden.“

    Es kann dahingestellt bleiben, ob ein derartig bedingt gefaßter Antrag der Absicht der Bestimmung im §. 26 des Gesetzes, betreffend die Untersuchung von Seeunfällen, vom 27. Juli 1877 (Reichs-Gesetzblatt S.549) überhaupt entspricht; denn im gegenwärtigen Falle ist die Voraussetzung, unter welcher der Antrag von dem Reichscommissar gestellt worden, zweifellos nicht eingetroffen, da das Seeamt positiv dahin sich geäußert hat, daß den Schiffer Staben ein Vorwurf, den Seeunfall zu verschulden, nicht treffe, daß insbesondere – im Hinblick auf die Vorschrift im §. 23 der Kaiserlichen Verordnung zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880 (Reichs-Gesetzblatt S.1) – die durch den Schiffer Staben vor dem Zusammenstoß der Bark mit der russischen Korvette "Bajan" vorgenommene Cursänderung die Abwendung bezw. Abschwächung unmittelbar bereits drohender Gefahr bezweckt habe, so daß Staben als durch die letztgedachte Vorschrift, vollkommen gedeckt" erscheine.

    Unter diesen Umständen befindet sich die Angelegenheit in derselben Lage, wie wenn der Reichscommissar von vornherein einen Antrag auf Entziehung der Befugniß zur Ausübung des Gewerbes gegen den Schiffer nicht gerichtet hätte. Ein solcher, seitens des Seeamts unberücksichtigt gebliebener Antrag ist aber nach §. 27 Absatz 1 des Seeunfall-Gesetzes die unerläßliche Vorbedingung für die Zulässigkeit der Einlegung des Rechtsmittels der Beschwerde an das Ober-Seeamt gegen einen Seeamtsspruch. Da es an dieser Vorbedingung fehlt, ist im vorliegenden Falle die Beschwerde nicht statthafterweise und daher ohne rechtliche Wirkung eingelegt. Auf diese Feststellung, aus welcher folgt, daß die baaren Auslagen des Beschwerdeverfahrens außer Ansatz bleiben, hatte das Ober-Seeamt, ohne in eine fachliche Prüfung der Angelegenheit einzutreten, seinen Ausspruch zu beschränken.



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