Seeunfall der Brigg „Bürgermeister Petersen"
Spruch des Seeamts zu Rostock vom 18. Januar 1889, betreffend den Zusammenstoß der Brigg „Bürgermeister Petersen“ von Rostock mit der norwegischen Bark „Christiane Sophie“ im Kattegat.
Der Spruch des Seeamts lautet:
Der am 24. Juli 1888 im Kattegat stattgehabte Zusammenstoß der Brigg „Bürgermeister Petersen“ mit der norwegischen Bark „Christiane Sophie“, welcher bedeutende Beschädigung für beide Schiffe zur Folge gehabt hat, ist dadurch verursacht, daß die Bark, welche der Brigg aus dem Wege zu gehen hatte, zu spät abfiel. Schiffer Niejahr trifft keinerlei Verschulden an dem Unfalle. Entscheidungsgründe.
- Die in Rostock beheimathete Brigg „Bürgermeister Petersen“, Unterscheidungssignal MCDL, ein in den Jahren 1849/50 ebendaselbst aus Eichenholz erbautes, wohlerhaltenes und bei dem Germanischen Lloyd classificirtes Schiff von 807,6 cbm=285,08 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt, segelte am 13. Juli 1888 mit einer nach Riga bestimmten Ladung Kreide aus London ab. Ihre Besatzung bestand mit dem sie führenden Schiffer Wilhelm D. Niejahr aus Niehagen bei Wustrow und dem geprüften Steuermanne Friedrich Ohlerich von Althagen aus 9 Personen. Nachdem die Nordsee und das Skagerak durchsegelt waren, passirte die Brigg am Morgen des 24. Juli 1888 Skagen und steuerte dann bei flauem Winde aus SW mit Steuerbordhalsen SSO. Sie hatte alle Segel bei und machte 2½ bis 3 Knoten Fahrt. Der Himmel war bedeck, aber die Luft sichtig.
Morgens 8 Uhr übernahm Schiffer Niejahr zusammen mit dem Zimmermann Zorn, dem Matrosen Waterstradt, dem Koch Wulf und dem Jungen Saffran die Wache auf Deck. Gleich nach 9 Uhr bemerkte derselbe 2 bis 3 Strich an Backbord voraus ein anscheinend mit nördlichem Curse liegendes Segelschiff. Es war dies, wie sich später herausstellte, die norwegische Bark „Christiane Sophie“, Schiffer E. A. Andersen, welche sich mit einer Holzladung auf der Reise von Sprängriken nach London befand.
Beide Schiffe waren nach Schätzung des Schiffers Niejahr damals noch ungefähr 3 Seemeilen von einander entfernt. Die Brigg hielt ihren Curs unverändert fest und Schiffer Niejahr erwartete, daß die mit Backbordhalsen segelnde Bark den ihrigen, welcher gerade auf die erstere zu gerichtet war, ändern werde, um dieser aus dem Wege zu gehen. So kamen sich beide Schiffe näher und näher. Als sie nur noch etwa 5 Schiffslängen von einander entfernt waren, und die Bark nur noch 1 Strich an Backbordseite der Brigg stand, ließ Schiffer Niejahr, welcher auf derselben keinen Ausguckmann bemerkte, ein Signal mit seinem Nebelhorn geben und hoffte nun bestimmt, daß der Gegensegler abfallen werde.
Da dies jedoch auch jetzt noch nicht geschah, befahl er, als seiner Schätzung nach die Entfernung beider Schiffe von einander nur noch höchstens 2 Schiffslängen betrug, das Ruder der Brigg aufzuholen, und diese zum Abfallen zu bringen und so dem drohenden Zusammenstoße vorzubeugen. Das Commando wurde sofort ausgeführt, und die Brigg fiel denn auch schnell mit dem Bug soweit nach Backbord ab, daß die Bark ungefähr 1 bis 2 Striche an Steuerbordseite derselben peilte. Jetzt bemerkte man an Bord der Brigg, daß auch die Bark im Abfallen begriffen war, und unmittelbar darauf erfolgte die Collision.
Die Bark traf mit ihrem Vordersteven die Brigg an deren Steuerbordseite unweit des Großwants in einem Winkel von ungefähr 45 Grad. Der Anprall war ein gewaltiger. Regeling, Schanddeck und diverse Außenplanken der Brigg wurden zertrümmert, deren Großmast brach und stürzte quer über das Deck, und auf letzteres fielen auch Klüverbaum und Bugspriet der Bark, welche beim Zusammenstoß gebrochen waren, mit allem Zubehör nieder.
Da hierbei die Boote der Brigg zerschlagen waren, enterte deren ganze Besatzung, welche befürchtete, daß ihr Schiff schnell sinken werde, auf die Bark über, kehrte aber, als sich, nachdem beide Schiffe von einander freigekommen waren, die gehegte Befürchtung grundlos erwies, an Bord derselben zurück und setzte, da sich bereits 6 Fuß Wasser im Raume fanden, sofort beide Pumpen in Gang, mittelst derer man denn auch des letzteren insoweit Herr zu werden vermochte, daß dasselbe ehe ab- als zunahm. Mittags 12 Uhr kam ein Lootse von der Station Winga an Bord, unter dessen Führung man auf letzteren Platz abhielt, und Nachmittags 4 Uhr nahm Schiffer Niejahr einen Bugsirdampfer an, welcher die Brigg glücklich in Gothenburg einbrachte.
- Dort ist dieselbe von einer Sachverständigen-Kommission besichtigt, welche die Kosten der nothwendigen Reparaturen zu 13910 Kronen veranschlagte und den Werth des Schiffes in seinem beschädigten Zustande auf 1500 Kronen schätzte. Auf gerichtliche Anordnung ist die Brigg sodann mit Inventar öffentlich meistbietend durch die Auctionskammer in Gothenburg für 2040 Kronen verkauft worden.
- In der vor dem dortigen Rathhausgericht von der Besatzung der Bark „Christiane Sophie“ abgelegten Verklarung hat der Führer jenes Schiffes, Schiffer Andersen, sich über die der Collision vorauf gehenden Thatumstände nachstehendermaßen ausgesprochen:
- Sie hätten am Morgen des 24. Juli, nachdem etwa um 7 Uhr Trindelen passirt sei, bei einer frischen Brise aus SWzW mit Backbordshalsen NW und NW½N gesteuert. Die ganze Besatzung habe sich auf Deck befunden. Vormittags etwa 10 Uhr habe man an Backbordseite voraus die Brigg bemerkt. Der die Wache habende Steuermann habe vorne auf der Decksladung gestanden, um den Befehl zum Abfallen zu geben, sobald dies nothwendig werden sollte.
Als beide Schiffe noch mindestens ein paar Schiffslängen von einander entfernt gewesen seien, habe man auf der Brigg ein Signal mit dem Nebelhorn gegeben und nun habe der Steuermann der Bark sofort commandirt: „auf mit dem Ruder". Dieses Commando sei ungesäumt ausgeführt, und die Bark denn auch alsbald abgefallen. Während dieselbe bereits im Abfallen begriffen gewesen sei, habe man auf der Brigg Steuerbordruder gegeben und so diese ebenfalls zum Abfallen gebracht. Die Brigg habe sich nun quer vor den Bug der Bark gelegt, welche dann mit ihrem Steven in die Steuerbordseite derselben beim Großwant ein gerannt sei, und ihrerseits nicht nur Bugspriet und Klüverbaum verloren, sondern auch sonstige erhebliche Beschädigungen davon getragen habe.
- Die in ratio I sub C. mitgetheilte Darstellung des Führers der Bark und die von der Besatzung der Brigg gegebene, wie sie der Feststellung in ratio I sub A. zu Grunde gelegt wurde, differiren in einem wesentlichen Punkte nämlich darüber, welches der beiden Schiffe zuerst abgefallen ist. Das Seeamt hat auch in dieser Beziehung der Aussage der Besatzung der Brigg vollen Glauben beigemessen und darauf gestützt, für erwiesen angesehen, daß die Brigg zuerst abfiel und zwar erst dann, als sich beide Schiffe in ihren ursprünglichen Cursen bereits bis auf 1 ½ bis 2 Schiffslangen nahe gekommen waren. Daß in der That die Brigg zuerst abgefallen ist, dafür spricht insbesondere auch die Art des Zusammenstoßes.
Denn die Bark traf mit ihren Vordersteven die Brigg an deren Steuerbordseite bei dem Großwant in einem Winkel von ungefähr 45 Grad, und das war nur möglich, wenn die Brigg zuerst zum Abfallen gekommen war, während anderen Falles diese mit ihrem Vordersteven die Bark an deren Backbordseite getroffen haben müßte. Betrachtet man nun von diesem Standpunkte aus den Verlauf der Sache, so ergiebt sich, daß Schiffer Niejahr durchaus den Vorschriften der Kaiserlichen Verordnung zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880 entsprechend gehandelt hat.
Nach Artikel 14 sub b dieser auf den Grundsätzen des internationalen Straßenrechts auf See beruhenden Verordnung mußte die mit Backbordhalsen beim Winde segelnde Bark der mit Steuerbordhalsen beim Winde segelnden Brigg aus dem Wege gehen, und nach Artikel 22 diese ihren Curs beibehalten. Letzteres hat denn auch die Brigg gethan, bis beide Schiffe nur noch 1 ½ bis 2 Schiffslängen von einander standen, und die unmittelbare Gefahr eines Zusammenstoßes drohte. Wenn sie nun ihren Curs nicht weiter beibehielt, so wird dieses Abweichen von demselben durch Artikel 23 der angezogenen Verordnung vollkommen gedeckt, und es kann sich nur noch fragen, ob die Art und Weise, in welcher die Brigg ihren Curs änderte, eine richtige war, insbesondere ob es sich etwa mehr empfohlen haben würde, anstatt abzufallen, über Stag zu gehen.
Diese Frage ist in ihrem ersten Theile zu bejahen und in ihrem zweiten zu verneinen. Denn bei der damaligen Position beider Schiffe mußte ein Versuch der Brigg, über Stag zu gehen, wenn die Bark ihren Curs festhielt, sicher zu einer Collision führen, da sich dann die Brigg quer vor den Bug der Bark gelegt haben und von dieser an Backbordseite angerannt sein würde, während bei einem Abfallen wenigstens die Möglichkeit blieb, daß Alles klar ging.
Daß aber die Bark ihrerseits nicht abfallen, sondern vor dem Bug der Brigg vorüberlaufen wolle, durfte Schiffer Niejahr nach Lage der Sache mit gutem Grunde annehmen. Wenn nun der Führer der Bark in deren Verklarung behauptet, daß letzteres nicht die Absicht seines zur Zeit des Unfalles die Deckwache commandirenden Steuermannes gewesen sei, sondern daß dieser von vorne herein, sobald es nöthig werden sollte, habe abfallen und so der Brigg aus dem Wege gehen wollen, so ist das letzterwähnte Manöver jeden falls zu spät ausgeführt. In dem zu späten Abfallen der Bark, welches die Brigg über deren Absichten in Zweifel gerathen ließ, war denn auch die Ursache des vorliegenden Unfalles zu erblicken, an welchem, wie sich aus obigen Ausführungen ergiebt, der Besatzung der Brigg keinerlei Schuld beizumessen ist. Ob eine solche die Führung der Bark trifft, darüber steht, da letztere kein deutsches Schiff ist, den Seeamte die Entscheidung nicht zu.