Archimedes | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Brigg „Archimedes"



  1. In heutiger Hauptverhandlung ist auf Grund der Vernehmung des Schiffers Lindenberg und der verlesenen Schriftstücke als insbesondere der bezüglichen Einträge zum Schiffsjournal, der Aussagen des Steuermanns Heinrich Rohde und der Matrosen August Müller und Hermann hass, sowie der Witterungsberichte der Leuchtfeuerstationen Ystadt und Falsterbo-Feuerschiff Nachstehendes thatsächlich festgestellt.


    1. Am 2. März 1884 ging die 1859 zu Ribnitz erbaute, in Rostock beheimathete Brigg „Archimedes“, Unterscheidungssignal MBWQ, ein derzeit in gutem, seetüchtigen Zustande befindliches Schiff von 702,9 cbm = 248,12 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt mit einer nach Rouen bestimmten Ladung eichener Bretter von Danzig aus in See. Die Brigg war ordnungsmäßig mit allem Erforderlichen ausgerüstet und ward geführt von dem Schiffer Lindenberg aus Ribnitz, welcher mit ³⁸⁄₆₀ Parten am Schiff betheiligt und mit letzteren zu nur 4125 M, etwa einem Viertheil des Werthes, versichert war.

      Am 3. März Mittags 12 Uhr peilte man den Feuerthurm von Hammershuus an der Nordspitze von Bornholm in OzS in ungefähr 2 Seemeilen Abstand. Der Wind wehte kräftig aus OSO, ging aber im weiteren Verlauf des Tages nach SOzS und nach Sz0 und nahm mehr und mehr an Heftigkeit zu, so daß Nachmittags 2 Uhr das Groß-Bramsegel und Abends 6 Uhr das Großsegel festgemacht werden mußte. Von Mittags 12 Uhr an bis Mitternacht ward Westcurs gesteuert und die abgesegelten Distancen, durchschnittlich 4 bis 5 Seemeilen in der Stunde, wurden von Wache zu Wache auf der Karte, einer englischen Ostseekarte vom Jahre 1883, abgesetzt.

      Abends 8 Uhr, als Schiffer Lindenberg die Wache übernahm, kam in NNW½1/2W schwach durchscheinend ein Feuer in Sicht, welches ein Blinkfeuer zu sein schien, dessen Farbe aber bei der dicken Luft und der großen Entfernung ebensowenig auszumachen war, wie der zwischen den einzelnen Blinken etwa liegende Zeitraum. Schiffer und Steuermann hielten dasselbe für das Feuer von Torp an der schwedischen Küste, zwischen Ystadt und Trelleborg, dem man nach dem Besteck gegenüberstehen mußte. Dieses Feuer ist erst zu Anfang 1884 eingerichtet und war es daher weder auf der Karte verzeichnet noch in dem an Bord befindlichen Leuchtfeuerbuche von W. Ludolph aus dem Jahre 1881 enthalten, in welchem es jedoch Schiffer Lindenberg, dem das Vorhandensein desselben bekannt war, im übrigen richtig, jedoch irrthümlich mit einer Sichtweite von 15 Seemeilen, nachgetragen hatte.

      Es ist ein festes Feuer dritter Ordnung von abwechselnd rother und weißer Farbe, mit Blink alle 5 Secunden und nur 13 Seemeilen weit sichtbar. Um 10 Uhr ward dasselbe Feuer nach der Eintragung zum Journal im Norden bei ungefähr 12 Seemeilen Abstand, um Mitternacht in NOzN und ungefähr 15 Seemeilen Abstand nach Gissung gepeilt. Um die letztere Zeit gab der Schiffer die Wache an Steuermann Rohde ab und wies denselben an, etwa eine Stunde lang nach WNW, dann aber mehr nördlich steuern zu lassen, bis das Falsterbo-Feuer in Sicht komme. Der Steuermann ließ auch sofort den Curs nach WNW ändern, allein schon eine halbe Stunde später, als der Schiffer eben das Deck verlassen hatte, um sich in die Cajüte zu begeben, stieß die Brigg vorne auf, ohne jedoch noch festzukommen.

      In der Meinung, daß dieselbe der schwedischen Küste zu nahe stehe, ließ der Steuermann das Ruder nach Steuerbord legen. Das Schiff stieß jedoch weiter und nachdem das Ruder aus den Schmiegen gesprungen war, schob es sich mehr und mehr auf das Riff hinauf, bis es bald nach 1 Uhr fest kam. Es war in der Farö-Bucht auf den Holländer Gründen, an der Ostküste von Seeland gestrandet, und das gesichtete Feuer war zuerst wahrscheinlich dasjenige von Falsterbo-Rev, ein 10 Seemeilen weit sichtbares festes Feuer, und später dasjenige von Stevns-Klint gewesen, ein Drehfeuer zweiter Ordnung, mit Blink jede 30 Secunden und 20 Seemeilen weit sichtbar.

      Am Morgen des 4. März kamen Fischerboote längsseits, und der Schiffer fuhr mit ihnen an das Land, um Assistenz herbeizuholen. Inzwischen war die stark rammende Brigg schwer leck geworden und hatte sich trotz angestrengten Pumpens bald ganz mit Wasser gefüllt. Als daher Abends Wind und See zunahmen, barg sich auch die Mannschaft mit dem eigenen Boote ab, nachdem sie zuvor den Steuerbordanker hatte fallen lassen.

    2. Die Brigg ist später nach Eintritt besseren Wetters, und nach dem die Ladung gelöscht worden, durch einen Taucher abgedichtet, leer gepumpt und dann nach Praesto eingebracht. Dort zeigte sich, daß der feste Kiel fast ganz fort und der Boden stark beschädigt sei. Die Rhederei beschloß daher den Verkauf des Schiffes, welches demnächst öffentlich meistbietend mit Inventar für 4125 M verkauft worden ist.


    3. Nach den von den Leuchtfeuerstationen zu Ystadt und Falsterbo-Feuerdchiff eingeholten Witterungsberichten war die Luft in der Strandungsnacht diesig, der Himmel mit schweren Wolken bedeckt. Ueber eine etwaige Stromversetzung sind auf jenen Stationen keine Beobachtungen gemacht, aber von der Station Ystadt ist bezeugt worden, daß bei östlichen Winden regelmäßig eine Strömung von Osten nach Westen zu laufen pflege.


  2. In der Hauptverhandlung sind, die abgesegelten Distanzen nach dem Journal zunächst von dem Mittagsstandorte des Schiffes bei Hammershuus vorwärts und dann von der Strandungsstelle an rückwärts zur Karte abgesetzt. Darnach ergiebt sich, daß die Brigg zur Zeit der Strandung ungefähr 27 Seemeilen weiter westlich stand, als wie sie nach Besteck stehen sollte. Wodurch diese erhebliche Differenz veranlaßt ist, hat nicht völlig aufgeklärt werden können. Daß die Eintragungen zum Schiffsjournal mit gewissenhafter Sorgfalt gemacht sind und die dort verzeichneten abgesegelten Distanzen dem Ergebniß des allstündlich geworfenen Loggs entsprechen, ist vom Schiffer auf das Bestimmteste versichert und wird vom Seeamt nicht bezweifelt.

    Der Schiffer versichert weiter, daß man beim Loggen mit Vorsicht und thunlichster Genauigkeit verfahren sei, daß sich das gebrauchte Logg, kein Patent-Logg, sondern ein gewöhnliches, stets als zuverlässig erwiesen habe, und daß somit die Distanzberechnung eine richtige gewesen sein werde. Wäre letzteres wirklich der Fall gewesen, so bliebe nichts übrig, als die oben beregte Differenz von 27 Seemeilen auf eine Stromversetzung nach Westen zurückzuführen. Allein eine so starke Stromversetzung, welche über 2 Seemeilen in der Stunde betragen haben würde, findet erfahrungsmäßig in dem hier in Rede stehenden Theile der Ostsee nur sehr selten und unter ganz besonderen vorliegend nicht indicirten Umständen statt.

    Das Seeamt nimmt daher an, daß jene Differenz zwar der Hauptsache nach durch Stromversetzung entstanden ist, daß aber fehlsame Distanzberechnung dazu mitgewirkt haben wird. Wodurch letztere herbeigeführt worden, ob durch mangelhafte Beschaffenheit des Loggs oder durch Fehler beim Gebrauch desselben oder wodurch sonst, darüber hat nichts Bestimmtes festgestellt werden können. Zweifellos ist es, daß auch der Irrthum über die Identität des von 8 Uhr Abends bis um Mitternacht gesichteten Feuers zum Eintritt des Unfalls mit beigetragen hat.

    Denn wäre dasselbe als dasjenige von Falsterbo-Rev oder von Stevns-Klint erkannt worden, so würde man zu rechter Zeit den Curs mehr nördlich genommen und damit die Strandung vermieden haben. Immer aber mußte, wie geschehen, als wesentliche Ursache der letzteren die Stromversetzung nach Westen bezeichnet werden. Die Frage, ob dem Schiffer oder Steuermann ein Verschulden an dem Unfalle zur Last zu legen sei, war zu verneinen. Denn schlechte Beschaffenheit des Loggs oder Mangel an Sorgfalt beim Gebrauch desselben ist nicht erwiesen, und die Verwechselung der Feuer entschuldbar, da in der That nach dem auf Grund der abgesegelten Distanzen aufgemachten Besteck Abends 8 Uhr dasjenige von Torp in NNW½W stehen mußte. Aus dem Unterlassen des Lothens aber, welches ohnehin wenig genützt haben würde, da die Wassertiefen bis nach Moen so ziemlich die gleichen sind, gereicht den genannten Schiffsofficieren um deswillen nicht zum Vorwurf, weil sie erst Mittags sichere Landpeilung gehabt hatten und deshalb ihr Besteck für richtig halten durften.


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