Hilfeleistung der Brigg "C.F. Maas" der havarierten Bark "Agnes"
Spruch des Seeamts zu Rostock vom 21. Oktober 1887, betreffend den Seeunfall der Bark "Agnes" von Rostock.
Der Spruch des Seeamts lautet:
Das am 2. April 1887 erfolgte Grundstoßen der Bark auf den östlichen Ausläufern des Falsterbo-Riffs, durch welches das Schiff derartig beschädigt wurde, daß es schwer leck ward und kenterte, ist auf Stromversetzung und dicke Luft zurückzuführen. Ein Verschulden an dem Unfalle trifft Niemanden von der Besatzung der "Agnes".
Gründe.
- Auf Grund der Registeracten, der Aussagen des Schiffers Kramer in heutiger Hauptverhandlung und der in letztererzur Verletzung gebrachten Schriftstücke, als der vor dem deutschen Consulat zu Kopenhagen protocollirten Aussagen des Schiffers D. Zeplien von der Rostocker Brigg "C.F. Maas" und des Zimmermanns F. Günther von der Bark "Agnes", des Besichtigungs-Protocolls (datirt Kopenhagen, 3. Mai 1887), eines Berichts des Feuerwärters von dem Falsterbo-Feuerschiffe und der schriftlichen Mittheilungen der Schiffsbaumeister E. Burchard zu Rostock, Klawitter zu Danzig und Sieg zu Stettin, ist folgendes für thatsächlich festgestellt erachtet:
- Am 29. März 1887 versegelte die in Rostock beheimathete, vom Schiffer Carl Kramer aus Ribnitz geführte Bark "Agnes", Unterscheidungssignal MBJR, vermessen zu einem Netto-Raumgehalt von 794,5cbm = 280,45 britischen Register-Tons, mit einer nach Hull bestimmten Ladung tannener Balken aus Stettin. Von der Ladung war ein kleiner Theil auf dem Deck verstaut und dort gehörig befestigt, so daß das Schiff ungefähr eine halbe Deckslast hatte. Der Tiefgang betrug hinten 14 Fuß 6 Zoll und vorne 14 Fufl englisch. Die Besatzung bestand einschließlich des Schiffers und des geprüften Steuermanns Fritz Fretwurst von Dierhagen aus 9 Personen. Nachdem man Gegenwindes halber bis zum 1. April bei Swinemünde vor Anker gelegen hatte, setzte man am Morgen dieses Tages die Reise fort und passirte Vormittags 9 Uhr die Ansegelungstonne, wo der Lootse von Bord ging. Von da an steuerte man bei SSO-Wind 21 Seemeilen nördlich bis Nachmittags 4 Uhr, um welche Zeit der Greifswalder Oie-Leuchtthurm in West ungefähr 7 bis 8 Seemeilen ab bei diesiger Luft gepeilt wurde.
Von 4 Uhr Nachmittags bis 8 Uhr Abends war der Curs bei mäßigem OSO-Wind N½W, und legte man 14 Seemeilen zurück. Von da an bis Mitternacht wurden mit NNW-Curs 9 Seemeilen abgesegelt. Die Luft war noch immer diesig und blieb auch am Morgen des 2. April trübe, an welchem der Wind durch SSW und SWzW nach WSW ging und auffrischte. Von Mitternacht bis Morgens 4 Uhr steuerte man NWzN 12 Seemeilen, von da bis Morgens 8 Uhr NW½W 20 Seemeilen und von da an NW. Vormittags 9 Uhr trat Schneetreiben ein. Gleich darauf passirte der Stettiner Dampfer "Russia", welcher NWzN-Curs verfolgte. Zwei Segelschiffe waren voraus und steuerten gleichen Curs wie die "Agnes". Bald nach 10 Uhr Vormittags berührte die letztere plötzlich den Grund, ohne jedoch festzukommen.
Schiffer Kramer, welcher die Wache hatte, ließ die Bark sofort über Stag gehen und mit SzO-Curs an den Wind legen. Kaum war dies geschehen, alsman von Westen her, auf ungefähr 1 Seemeile Entfernung, das Nebelsignal des Falsterbo-Feuerschiffes hörte, von dem man jedoch nichts sehen konnte. Die Bark mußte demnach bei Falsterbo-Riff, und zwar, wie Schiffer Kramer meint, auf den südöstlichen Ausläufern desselben den Grund berührt haben, während man sich nach dem Besteck noch ungefähr 20 Seemeilen südlich von diesem Punkte, auf 55 Grad nördlicher Breite und 12 Grad 49 Minuten östlicher Länge befinden sollte. Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt und der Schiffer ließ alle Segel bis auf die beiden Untermarssegel festmachen. Dann peilte man die Pumpe und bemerkte, daß das Schiff leck geworden sei. Beide Pumpen wurden nun in Gang gesetzt und energisch bedient, allein das Wasser im Raum nahm trotzdem schnell zu. Jetzt ließ Schiffer Kramer Nothsignale machen, worauf denn auch die auf der Reise von Stettin nach Hull befindliche Rostocker Brigg "C.F. Maas", Schiffer D. Zeplien, herankam und in der Nähe blieb.
Der Wind war unterdes stürmisch geworden und die See ging sehr hoch. Auf der "Agnes" setzte man das Pumpen bis Nachmittags 1 Uhr fort, stellte es dann aber, da das Wasser im Raume sehr schnell zunahm, als nutzlos ein in der Hoffnung, daß man auf der Ladung schwimmend irgendeinen Hafen erreichen werde. Nachmittags 4 Uhr legte sich die Bark plötzlich nach Backbordseite über und kenterte so schnell, daß man nicht einmal Zeit hatte, die Schooten der Untermarssegel loszuwerfen. Glücklicherweise waren alle zur Besatzung gehörigen Personen grade auf Deck und konnten über die Steuerbord-Regeling auf den Boden des Schiffes klettern, welches nunmehr mit dem Kiel nach oben lag. Der Steuermann hatte,ehe er das Deck verließ, die Fockschoote weggeschnitten, und an dieser hielten sich nun alle auf dem glatten Schiffsboden fest,während sie sonst wahrscheinlich abgespült worden wären, da die See häufig über das Wrack wegbrach. Von Bord der Brigg "C.F. Maas"hatte man das Kentern der "Agnes" bemerkt. Schiffer Zeplien ließ alsbald sein großes Boot aussetzen, und nach dreistündiger schwerer Arbeit gelang es, die Schiffbrüchigen unter erheblichen Gefahren abzubringen.
Die "Agnes" hat sich, nachdem von den Dampfern "Rügen" und "Hertha" die Masten abgesprengt und die Takelage entfernt worden, wieder aufgerichtet und ist in Kopenhagen eingeschleppt. Dort ist sie durch eine von dem See- und Handelsgericht daselbst ab geordnete, aus dem Schiffscapitain S.C. Iben und dem Schiffsbaumeister C.P. Brandt bestehende Sachverständigen-Commission besichtigt. Nach dem Befund der Letzteren waren die 3 Masten und der Loskiel ganz fort, der vordere feste Kiel und der Steven schwer beschädigt, das Plankenwerk an 3 Stellen in einer Länge von 6 bis 12 Fuß und in einer Breite von 1 bis 1½ Fuß zertrümmert, ein Krahnbalken und ein großer Theil der Regeling, der Nagelbank und der Schanzkleidung gebrochen und zersplittert, Bolzen und Nägel vielfach gelockert. Auch hatten sich fast alle Nähte an beiden Seiten des Schiffes und der ganze innere Verband desselben stark begeben. Die Besichtiger taxirten:
- die nothwendigen Reparaturkosten auf 28.565 Kronen;
- den Werth des Schiffes in seinem beschädigten Zustande auf 800 Kronen und
- den Werth desselben nach Ausführung der erforderlichen Reparaturen auf 12.000 Kronen.
Die Bark ist demzufolge von dem See- und Handelsgericht zu Kopenhagen als reparaturunwürdig condemnirt.Der öffentlich meistbietende Verkauf des Wracks und des Inventars hat zusammen 1.350 Kronen ergeben.
- Nach einem Berichte des Feuerwärters vom Falsterbo Feuerschiff ist dort am 2. April 1887 Vormittags 8 Uhr eine Meeresströmung aus Südenvon 5 Seemeilen Stärke beobachtet worden, und sind an jenem Tage der schon erwähnte Stettiner Dampfer "Russia" und das Ueckermünder Schiff"Dienstag" auf Falsterbo-Riff gestrandet.
- Die Bark "Agnes" ist in den Jahren 1850/51 zu Rostock aus Eichenholz erbaut und seit 1866 vom Schiffer Kramer geführt worden, welcher 35/381 Parten im Schiffe hatte und mit denselben im Ganzen zu 2.000 M versichert war. Sie ist 1874 hier einer umfänglichen Zimmerung unterworfen, deren Kosten ungefähr 11.000 M betragen haben, 1882 in Stettin gekielholt und gedichtet, 1885 in Danzig oberhalb der Wasserlinie kalfatert und im Boden geschmiert und in demselben Jahre in Süd Shields gründlich im Boden nachgesehen. Klasse hatte das Schiff seit einem Jahre nicht mehr.
- Die Untersuchung ist vom Seeamt aus Anlaß einer unter "Schiffsnachrichten" enthaltenen Mittheilung der Rostocker Zeitung eingeleitet worden.
- Als Ursache des vorliegenden Unfalles, welche für die Rhederei den Verlust des Schiffes zur Folge hatte, ist in erster Linie eine Stromversetzung in nördlicher Richtung anzusehen. Das Grundstoßen erfolgte, wie nicht zu bezweifeln, auf den östlichen Ausläufern des Falsterbo-Riffes, und nach Besteck sollte die Bark damals ungefähr 20 Seemeilen südlicher stehen. Legt dieser Umstand an sich schon den Gedanken an eine stattgehabte Stromversetzung nahe, so kommt hinzu, daß am Vormittage des 2. April in der That in jener Gegend der Ostsee eine kräftige Meeresströmung von Süd nach Nord auf dem Falsterbo-Feuerschiff beobachtet worden ist. Durch das Grundstoßen wurde die Bark schwer leck, und auf das nun in den Raum eindringende Wasser ist ihr Kentern zurückzuführen. Das Grundstoßen und das demnächstige Bergen des Wracks aber haben diejenigen Beschädigungen hervorgebracht, welche durch die Besichtigungen in Kopenhagen festgestellt wurden und die Condemnirung der Bark veranlasten.
Allein trotz der Stromversetzung würde voraussichtlich der Unfall dennoch vermieden worden sein, wenn nicht die Luft am Morgen des 2. April dickvon Regen und Schnee gewesen wäre. Denn dann würde man unzweifelhaft das Falsterbo-Feuerschiff gesehen haben und dadurch gewarnt, dem Riffe ferngeblieben sein. Es hat demnach die dicke Luft als mitwirkende Ursache des Unfalles bezeichnet werden müssen, bei welchem, da erlediglich durch elementare Ereignisse herbeigeführt worden ist, Niemandem von der Besatzung ein Verschulden beizumessen war.
Die Abbergung der Schiffbrüchigen ist nach Ansicht des Seeamts für die Bemannung des Bootes der Brigg "C.F. Maas" mit großer Lebensgefahr verknüpft gewesen. Wenn das Boot, was bei der hochgehenden See leicht geschehen konnte, gegen das Wrack oder auf dem Rückwege zur Brigg gegen diese geschleudert worden wäre, so würde es voraussichtlich zertrümmert oder gekentert sein, und dann waren dessen Insassen unrettbar verloren.
Andererseits war die Besatzung der "Agnes", welche sich nur noch auf kurze Zeit auf dem glatten Schiffsboden hätte halten können, ohnedie ihr von der Besatzung der Brigg zu Theil gewordene Hülfe einem sicheren Tode verfallen. Das Seeamt kann daher nur wünschen, daß der Muth und die Aufopferung, welche die zur Bemannung des Bootes gehörenden Leute der Brigg "C.F. Maas" bewiesen haben, an zuständiger Stelle die gebührende Anerkennung finden mögen.